Kap der Finsternis: Roman (German Edition)
Spalt auf. Ein gelbes Auge betrachtete Barnard argwöhnisch. Dann wurde die Tür ganz geöffnet und gab den Blick frei auf einen großen, spindeldürren Mann mit fettigen grauen Haaren, die ein faltiges, uringelbes Gesicht rahmten. Sein Mund verzog sich zu einem trockenen Lächeln, und ein schlecht sitzender Zahnersatz klackerte feucht.
»Komm rein, Bruder Rudi.«
Barnard war mit Sicherheit kein besonders einfühlsamer Mann, aber er kämpfte darum, sich den Schock darüber nicht anmerken zu lassen, wie stark der Pastor seit seinem letzten Besuch abgebaut hatte.
Johan Lombard, einst Kopf der Army of God Church, war vor die Hunde gekommen. Nach fünf Jahren im Pollsmoor Prison wegen sexuellen Missbrauchs von Straßenkindern war er inzwischen noch ängstlicher und paranoider als damals bei Haftantritt. Lombard schwor, er sei unschuldig, er habe lediglich seine Pflicht getan und die Kinder mit Jesus bekannt gemacht. Warum er sie ebenfalls mit seinem Penis bekannt machen musste, konnte er nie zufriedenstellend erklären. Rudi Barnard war von Lombards Unschuld fest überzeugt, glaubte, dass er ein Opfer der Lügen gottloser Mischlinge geworden war und den Preis dafür bezahlt hatte.
Lombard trug eine schmutzige graue Flanellhose, Hausschuhe und ein ausgefranstes Hemd, das einmal weiß gewesen war.
»Ich habe den Pastor doch hoffentlich nicht geweckt, oder?« Barnard verhielt sich äußerst respektvoll, war immer noch überzeugt, dass Lombards blutleere Lippen dem Ohr Gottes sehr nahe waren.
»Wer kann schon schlafen, Bruder Rudi? In Zeiten wie diesen?«
Lombard schlurfte voraus in ein kleines Wohnzimmer, vollgestellt mit einem Sofa, zwei Stühlen mit geschnitzten Krallenfüßen und Stapeln von theologischen Büchern.
Er zeigte auf einen der Stühle. »Bitte, setz dich.«
Lombards Hemdsärmel rutschten bis zu seinen knochigen Ellbogen hinauf, und Barnard sah die Einstiche der selbstgesetzten Morphiumspritzen. Lombard hockte sich aufs Sofa, die Hände auf den Knien. Als Barnard sich auf einem der Sessel niederließ, knurrte sein Magen wie ein Betonmischer. Er klopfte darauf.
Lombard versuchte ein Lächeln. »Du siehst immer noch gut aus, Rudi.«
Barnard nickte. »Ich bin okay. Und Sie?«
Der Pastor zuckte die Achseln. »Es wird nicht mehr lange dauern, bis ich meine ewige Belohnung erhalte. Lobet den Herrn.« Der Krebs hatte Lombards Leber fast völlig weggefressen und knabberte jetzt auch andere Organe in der Nachbarschaft an. »Und deine Arbeit? Kämpfst du immer noch den gerechten Kampf?«
»Ich versuch’s, Pastor.«
»Du bist ein tapferer Mann, Rudi. Du musst stark bleiben.«
»Ich tue mein Bestes, Pastor.«
»Bittest du Gott immer noch um Führung?«
Barnard nickte ernst mit seinem massigen Kopf. »Jeden Morgen und jeden Abend, Pastor.«
»Gut. Er hört dir zu. Ich sehe seine Stärke in dir.«
»Vielen Dank, Pastor.«
Lombards klauenartige Hände umklammerten das Sofa, als ein schmerzerfülltes, gequältes Zittern durch seinen Körper ging. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn und die Augenlider schlossen sich wie verstaubte Vorhänge.
Barnard fühlte sich unwohl. Mitleidsbekundungen fielen ihm nicht leicht. »Ich sollte Sie nicht länger belästigen, Pastor.«
Lombard kämpfte sich durch den Schmerz, dann seufzte er. Er öffnete die Augen und hob eine zitternde Hand. »Nein. Bitte.« Er saugte gierig Luft ein. »Beunruhigt dich etwas, Rudi? Du siehst aus, als wärest du in Gedanken mit etwas beschäftigt.«
Barnard zuckte die Achseln. »Ich will Sie nicht damit behelligen, Pastor.«
»Sprich mit mir, Rudi. Wenn ich auf irgendeine Weise helfen kann, selbst wenn es noch so wenig ist …« Es war wieder etwas Farbe in diese eingefallenen Wangen gekommen.
»Ich stehe vor einer Schlacht. Es ist vielleicht die größte, die ich je gekämpft habe.«
»Kannst du deinem Feind ein Gesicht geben?«
»Ja.«
»Dann wird Gott dir Kraft geben, Rudi. Sieh dies als Gelegenheit, als eine Chance, durchs Feuer zu gehen. Ein Geschenk von Ihm.«
»Ich versuch’s.«
Ein irres Flackern war in Lombards Augen. »Deine Feinde sind Sünder, Bruder Rudi. Genau wie dieser Berg heute Nacht brennt, werden ihre Seelen verloren sein in einem See aus Feuer. Diese Höllenfeuer werden ihre Knochen und Lungen verbrennen. Ein schrecklicher Gestank wird sich von ihnen erheben. Und dies ist ein Feuer, das für alle Ewigkeit brennen wird.« Er schnappte nach Luft, behielt aber seinen Kanzelton bei. »Aber du, Rudi, wirst
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