Kaperfahrt
sah, dass ihre Leute mit Handschellen an ihre Sitze gefesselt wurden. Als sie den Sinn dieser Aktion begriff, wurde sie von einer Woge des Grauens überrollt.
»Bitte tun Sie das nicht«, flehte sie den Mann an, der ihren Arm gepackt hatte.
Er schob sie noch brutaler zur Leiter. Fiona wurde rasend, bearbeitete sein Gesicht mit den Fingernägeln und versuchte, ihm ein Knie in den Unterleib zu rammen. Es gelang ihr immerhin, seine Kufiya herunterzureißen, und sie sah, dass sein Gesicht nicht die typischen Züge eines Libyers hatte. Sie vermutete, dass er ein Pakistani oder ein Afghane war. Er ballte die Faust und versetzte ihr einen Schlag, der ausreichte, um ihr für einen kurzen Moment das Bewusstsein zu nehmen. Hatte sie sich soeben noch mit Händen und Füßen gewehrt, lag sie im nächsten Moment auf dem Kabinenteppich, während die linke Hälfte ihres Gesichts ein einziger pulsierender Schmerz war. Männer standen draußen auf der Leiter und begannen, sie aus dem Flugzeug zu zerren.
Fiona fing Graces Blick auf, ehe sie weggeschleift wurde. Irgendwie hatte sie es geschafft, ihre Tränen zu unterdrücken. Auch Grace begriff, was nun geschehen würde.
»Gott schütze Sie«, flüsterte Grace.
»Sie auch«, erwiderte Fiona stumm, und dann war sie draußen und wurde nach unten gereicht.
Sie brachten sie etwa dreißig Meter vom Flugzeug weg und zwangen sie, niederzuknien. Dann fesselten sie ihr die Hände auf dem Rücken. Durch das kleine Cockpitfenster konnte sie erkennen, wie sich der junge Mann an den Kontrollen zu schaffen machte. Außerdem sah sie, dass im hinteren Abschnitt des Flugzeugrumpfs ein Loch klaffte. Offenbar war das Flugzeug von einer Rakete getroffen worden, die jedoch nicht explodiert war. Was, wie sie vermutete, auch so beabsichtigt gewesen war. Sie wollten sie in ihre Gewalt bringen, doch die Welt sollte denken, dass sie den Tod gefunden hatte.
Der letzte der Terroristen, die die an Bord zurückgelassenen Personen fesselten, beendete sein Werk. Der Selbstmordpilot verließ das Cockpit und umarmte den letzten Terroristen an der Kabinentür. Er blieb ganz kurz dort stehen und winkte den anderen, die ihm euphorisch zujubelten. Als der Terrorist auf der Piste stand und die Leiter weggenommen worden war, schloss der Pilot die Tür und nahm seinen Platz im Cockpit wieder ein.
Tränen rannen über Fionas Wangen. Sie konnte Gesichter sehen, die sich gegen die Kabinenfenster pressten. Dies waren ihre Leute – Männer und Frauen, mit denen sie seit Jahren zusammenarbeitete. Wegen ihnen wollte sie keine Schwäche zeigen und zwang sich, nicht mehr zu weinen.
Das noch intakte Triebwerk sprang an, und sein Heulen steigerte sich, bis ihre Ohren es kaum mehr ertragen konnten. Entlang der Schotterpiste waren unter Tarnplanen Fahrzeuge versteckt gewesen. Eins dieser Fahrzeuge war ein kleiner Traktor, wie sie auf Flughäfen auf der ganzen Welt im Einsatz sind. Er näherte sich dem vorderen Fahrwerk des Flugzeugs, dann nahm es der Fahrer an den Haken.
Er brauchte einige Minuten, um das Flugzeug zum Anfang der Rollbahn zu ziehen. Einige weitere Sekunden verstrichen, ehe der Triebwerkslärm anschwoll und die Boeing auf der Rollbahn beschleunigte.
Fiona betete, dass die von dem Raketentreffer verursachten Schäden ausreichten, um zu verhindern, dass die Maschine überhaupt genügend Startgeschwindigkeit erreichte. Aber mit so wenig Treibstoff in den Tanks und so wenigen Passagieren an Bord gewann die Maschine recht schnell an Tempo. Sie raste an ihr vorbei, wobei die Abgase wie ein stinkender heißer Atem auf sie wirkten. Die Terroristen schossen in die Luft und brachen in Freudengeschrei aus, als sich das vordere Fahrwerk der Maschine langsam vom Boden löste. Lange blieb es in dieser Position, und dann scharrte das Flugzeugheck über den Untergrund, eine Folge der Schäden und der Unerfahrenheit des Piloten.
Die Nase senkte sich wieder auf die Erde, und Fiona war sicher, dass ihre Gebete erhört worden waren. Das Ende der Rollbahn war bald erreicht. Die Maschine würde nicht starten können.
Und dann erhob sich die Maschine doch majestätisch in die Luft. Der Jubel verdoppelte sich, und die Menge an Munition, die in den Himmel gefeuert wurde, war einfach atemberaubend.
Fiona biss sich auf die Lippe, während der Jetliner an Höhe gewann. Sie hatte keine Ahnung, wie weit er fliegen sollte. Sie überlegte sich, dass die Maschine wahrscheinlich Kurs auf Tripolis nahm, um auf die Konferenzhalle zu stürzen,
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