Kaperfahrt
einzusammeln.
Die meisten Männer waren darauf vorbereitet und hatten die Tücher bereits von den Köpfen gezogen. Juan warf einen Blick auf das Lager, das links von ihm lag. Niemand dort trug den Kopf verhüllt. Das Tuch war so etwas wie ein gemeinsames Erkennungszeichen. Damit blieben sie für Außenstehende anonym. In der Sicherheit des Lagers und der Gemeinschaft ihrer Glaubensbrüder zeigten sie sich jedoch unverhüllt.
Damit erübrigte sich ein Abwägen seiner Chancen. Er musste sofort handeln.
Also rammte er die Handkanten in den Rücken des Mannes vor sich und knurrte wütend: »Pass bloß auf!«
Der Mann drehte sich herum. In seinen Augen loderte Wut. »Warum hast du das getan?«
»Du hast mir den Ellbogen in den Bauch gestoßen«, schimpfte Juan. »Dafür sollte ich dich umbringen.«
»Was ist da hinten los?«
»Dieses Schwein hat mich gestoßen!«, rief Juan.
»Wer war das!«, rief der Anführer. »Zeig dich!«
»Nur wenn er sich entschuldigt.«
»Das werde ich nicht tun. Du hast mich doch zuerst geschlagen.«
Juan holte aus und zielte auf das Gesicht des Arabers. Es war ein Schwinger, den er höchstens mit einem Zehntel seiner Kraft ausführte. Der Mann sah die Faust schon von Weitem auf sich zukommen, duckte sich instinktiv, schob sich an Juan heran und versetzte ihm zwei schnelle Boxhiebe in die Magengrube. Dies war genau der Vorwand, den Juan brauchte. Er riss dem anderen Mann die Kufiya vom Kopf und drehte ihn dabei so herum, dass er selbst den restlichen Männern den Rücken zuwenden und keiner sein Gesicht sehen konnte.
»Ich kenne dich nicht!«, rief Juan und spielte auf einmal den Überraschten. »Dieser Mann ist ein Schwindler, ein Spion!«
»Bist du verrückt? Ich bin seit sieben Monaten hier!«
»Lügner!«, schäumte Cabrillo.
Der Mann versetzte Juan einen heftigen Stoß. Anstatt diesen aber aufzufangen, packte Cabrillo seine beiden Handgelenke und verließ mit einem Schritt rückwärts den Pfad. Seine Füße rutschten sofort. Die Hangneigung war anfangs noch gering, nahm dann jedoch schnell an Steilheit zu. Sie wurden schneller, und als sie den Halt verloren, ließ sich Juan nach hinten fallen, zog den unglücklichen Terroristen über seinen Kopf hinweg, ohne den Griff zu lockern, so dass der Schwung ihn wie einen Akrobaten auf die Brust des Mannes katapultierte. Jetzt schleifte der Körper des Terroristen über die scharfkantigen Steine, während sie weiter in die Tiefe rutschten und Juan auf ihm saß.
Sie krachten in den ersten Graben, und Cabrillo hörte über dem Rauschen von Geröll, das den Hang lawinenartig hinunterpolterte, das Knacken von brechenden Knochen. Der Libyer schrie gellend in Juans Ohr, während sie in den Graben hinunterrasten. Sie kamen wie Schlittenfahrer den Abhang herab, nur dass der Terrorist der Schlitten war. Ringsum lösten sich weitere Steine, bis die beiden wegen der aufgewirbelten Staubwolke nicht mehr zu erkennen waren. Beide Beine des Mannes waren unterhalb der Knie gebrochen und flatterten nun wie unnütze Fremdkörper umher, während er und Juan den Hohlweg noch weiter hinunterrauschten und dabei je nach Beschaffenheit des Geländes von Seitenwand zu Seitenwand pendelten.
Cabrillo benutzte sein künstliches Bein als eine Art Steuerruder, um sie möglichst in der Mitte des Hohlwegs zu halten. Jedes Mal, wenn er das Bein ausstreckte, wirkte der Stoß gegen seinen Beinstumpf wie ein Schlag mit einem schweren Hammer. Aber wenn Juan sie nicht dirigiert hätte, wären sie in ein unkontrolliertes Trudeln geraten.
Noch mehr Geröll und Sand häufte sich um sie herum auf … und dann befanden sie sich plötzlich auf dem Kamm der Lawine, die sie ausgelöst hatten. Die Reibung des Terroristenkörpers auf dem Untergrund ließ abrupt nach, und ihre Geschwindigkeit schien sich zu verdoppeln. Juan konnte ihre Talfahrt jetzt nicht mehr steuern. Als die Rinne einen Schwenk nach links machte, vermochte sie das reine Volumen der Gesteinsmassen, die den Berghang hinabrollten, nicht mehr zu fassen, so dass sie wie ein Fluss mit Hochwasser über die Ufer trat und Juan und den Araber mit sich riss. Sie wurden durch die Luft getragen, während der Untergrund plötzlich unter ihnen wegsackte. Als sie schließlich landeten, schrie der Terrorist nicht mehr, und sie hatten ein paar wertvolle Meter Vorsprung vor den Geröllmassen gewonnen, von denen sie jetzt verfolgt wurden.
Diese neue Rinne war breiter und tiefer als die erste, jedoch auch um einiges gewundener.
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