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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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Oma auch glatt als das Meisterstück eines schwulen Innenarchitekten durchgegangen. Aber jetzt sah das alles ein bisschen anders aus. Jetzt, da sie im Sterben lag und die Küche höchstwahrscheinlich, nein, mit Sicherheit nie mehr benutzen würde. Sie würde nie mehr den ältesten Kühlschrank der Welt öffnen, nie mehr neben dem Herd stehen und darauf warten, dass der Ultra-Retro-Wasserkessel zu pfeifen anfing. Die Gegenstände hier waren von der Persönlichkeit seiner Oma durchtränkt, ihrer Sorgfalt und Aufmerksamkeit, und davon, dass sie alles genau so hatte haben wollen, wie es war. Sie hatte diese Sachen ausgesucht (oder vielmehr ihr Mann hatte sie ausgesucht, und sie hatte sich dann entschlossen, sich mit ihnen abzufinden). Während sie im Sterben lag, schien es ganz so, als lägen auch all diese Gegenstände im Sterben. Ihre Sorgfalt und ihr Wunsch, alles möge genau so sein, wie es war, schienen langsam und unwiderruflich aus ihnen zu entweichen. Sie würde diesen Raum nie wieder betreten.
    Nie. Das war ein hartes Wort. Smittys Kunst konnte mit diesem Wort nicht viel anfangen, und es war auch nichts, worüber er besonders lange nachdenken wollte.
    Aus dem Wohnzimmer konnte er ein leises, widerhallendes Geräusch hören. Er brauchte eine Weile, bis er begriffen hatte, worum es sich dabei handelte. Es war das Babyfon. Man konnte esso einstellen, dass es in beide Richtungen sendete, wahrscheinlich, damit die Leute ihren weinenden Babys antworten konnten – ja, mein Herzchen, duzi-duzi-duuuuuzi, oder was auch immer die Leute zu ihren Babys sagten. Mary hatte diese Funktion jedoch deaktiviert, damit sie sich nicht darum zu kümmern brauchte, wie viel Krach sie im Erdgeschoss machte. Er sollte wohl besser mal nach seiner Oma schauen. Er lief die Treppe hoch, zwei Stufen auf einmal nehmend, und ging in ihr Schlafzimmer. Sie lag auf dem Rücken, von ein paar Kissen abgestützt, und ihre Augen waren geöffnet.
    »Graham«, sagte sie. »Deine Mutter hat mir gesagt, dass du kommst. Du hättest nicht hochzukommen brauchen, ich wollte dich nicht rufen.« Smitty fiel auf, dass sie beim Sprechen die Worte ein wenig ineinander schleifte, wie jemand, der schon ein paar Gläser gekippt, aber noch nicht mitbekommen hat, dass er schon ziemlich betrunken ist.
    »Ja. Mama ist ausgegangen. Das wird ein großer Abend für sie«, sagte Smitty und setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett. »Geht es dir gut?« Kaum, dass er die Worte gesagt hatte, wurde ihm klar, wie dämlich diese Frage war. Seine Oma lächelte ihn einfach nur an, als hätte sie ihn nicht ganz verstanden. Aber es war ein trauriges Lächeln – ein Anzeichen dafür, dass sie ihn wahrscheinlich doch gehört hatte. Er sagte nichts weiter, das war auch gar nicht nötig. Sie schaute ihn einfach nur eine Weile an und schloss dann wieder die Augen. Kurze Zeit später veränderte sich der Rhythmus ihres Atems, und Smitty konnte sehen, dass sie eingeschlafen war.
    Er ging wieder nach unten und trat in den Garten hinaus. Es sah schön aus hier draußen, jedenfalls soweit er das beurteilen konnte, was nicht besonders viel zu bedeuten hatte. Einer der Scherze, die er gerne machte, war: »Mein Konkurrenzdenken geht nicht so weit, dass ich daran interessiert wäre, auch noch ein toller Gärtner zu sein.« Er kehrte ins Haus zurück und machte den Fernseher an. Aber es wurde nur Müll gesendet, und seine Oma hatte(natürlich) kein Kabelfernsehen, weshalb es nicht viel Auswahl gab. Also ging er wieder in die Küche. Und dort, auf dem Tisch, lag neben einem Stapel von Reklamesendungen, die seine Mutter noch nicht weggeschmissen hatte, eine von diesen Karten, auf denen W IR W OLLEN W AS I HR H ABT stand. Es war schon wieder ein Foto der Haustür. Smitty hob die Karte auf und starrte sie an. Er war sich nicht ganz klar, ob das, was er bei ihrem Anblick empfand, eher eine düstere Vorahnung oder einfach nur Traurigkeit war.

44
    Zbigniew saß in dem polnischen Club in Balham, trank einen Bisongras-Wodka und eine Flasche Żywiec-Bier und wartete auf Piotr. Er war nicht der Typ, der jemals etwas verdrängte, denn er war der festen Überzeugung, dass es besser war, Probleme offen auszusprechen. Also würde er seinem Freund erzählen, was mit Davina vor sich ging. Er hatte das Gefühl, sein Kopf würde zerspringen, wenn er ihm nicht endlich davon erzählte. Aber Piotr würde sich natürlich schadlos halten, indem er sich über ihn lustig machte. Er wusste genau, dass Piotr das, was gerade

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