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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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sie passten einfach zusammen. Und dabei war er gar nicht mal so anders als die anderen verwöhnten und vernachlässigten Kinder, und wütend wurde er auch. Er war eben einfach nur Josh, und sie liebte ihn, und er liebte sie.

43
    Mary hatte zugestimmt, einen Abend in London auszugehen. Sie war nicht unbedingt sehr begeistert von diesem Gedanken, aber Alan fand, dass ihr das guttun würde. Und weil Alan seine Ratschläge und Einmischungen in ihr Leben auf ein Minimum begrenzte, hatten die seltenen Vorschläge, die er ihr machte, besonderes Gewicht. So kam es, dass sie sich ohne jeden Enthusiasmus dazu hatte überreden lassen, »einen ganz besonderen Abend« mit zwei Freundinnen zu verbringen, die dafür extra von Essex nach London kommen würden. Sie hatten in einem Hotel in der Nähe vom Leicester Square ein Zimmer gebucht und schienen sich für die ganze Sache sehr viel mehr zu begeistern als Mary. Der Plan sah vor, dass sie erst in dem Hotel etwas trinken, dann in ein Musical gehen und nachher irgendwo etwas essen würden.
    »Wir werden verhungern«, sagte Mary. »Unsere Mägen werden knurren wie verrückt, das wird total peinlich.«
    »Wenn du vorher etwas isst«, sagte Alan, »dann schläfst du ein. Du kannst ein paar Nüsse oder so was in der Hotelbar essen. Kleine Häppchen. Was auch immer. Das ist besser, als wenn du während der Vorstellung schnarchst wie ein Holzfäller.«
    Alan, dieser wunderbare Mensch, hatte alles gebucht und die Karten gekauft. Mary hegte den Verdacht, dass er sogar das Hotel bezahlt hatte, aber sie fragte ihn lieber nicht danach. Alles, was sie tun musste, war, ein Kleid anzuziehen, auszugehen und Spaß zu haben. Und vielleicht gerade weil das alles war, was sie tun musste, fühlte sie sich von der ganzen Sache erdrückt. Mary hatte schon immer ein Problem damit gehabt, in Urlaub zu fahren. Das war eine Zeit, in der es zwingend vorgeschrieben war, Spaß zu haben. In den Ferien wurde Spaßhaben zu einem Job, den man erledigen musste. Als die Kinder älter geworden waren und nachdemGraham schließlich ausgezogen und Alice auf die Universität gegangen war, hatten sie allmählich damit aufgehört, richtig in Urlaub zu fahren. Alan hatte sich im Sommer lediglich ein paar Tage freigenommen, die er dann zu Hause verbrachte. Mary fand das viel angenehmer, weil es ihr wesentlich weniger Stress bereitete.
    Und nun stand sie also vor dem großen Spiegel in dem Zimmer, das früher einmal ihr Kinderzimmer gewesen war. Mittlerweile diente es als eine Art Gästezimmer, obwohl noch nie ein Gast hier übernachtet hatte. Sie hatte überhaupt nichts Elegantes mit nach London genommen und musste sich deswegen mit einem geblümten Kleid begnügen, das immerhin von allem, was sie eingepackt hatte, das schönste war. Es war keineswegs optimal, und wahrscheinlich war es auch nicht warm genug, aber sie würde eine Kaschmir-Strickjacke mitnehmen, und das würde dann reichen müssen. Alan hatte vorgeschlagen, dass sie sich etwas Neues kaufte, aber das fand sie dann doch zu viel des Guten. Ihre Mutter lag im Sterben. Das war kein Anlass, um in einen Kaufrausch zu geraten.
    Es klingelte. Noch so etwas, das Alan organisiert hatte. Er wusste, dass sie niemals ausgehen würde, wenn sich nicht jemand um Petunia kümmerte, dem sie Vertrauen schenkte. Und weil er auch wusste, dass es keinen fremden Menschen gab, dem sie vertraute, hatte er Graham gebeten, zum »Großmutter-Sitten« zu kommen. Alan bat seinen Sohn nie um etwas – Mary war diejenige, die sich Sorgen machte, ein großes Getue um ihre Kinder veranstaltete, ihnen Ratschläge gab und kontrollierte, was sie so trieben –, und deshalb galt auch hier das Prinzip, dass, wenn er es doch einmal tat, seine Bitte mehr einem Befehl gleichkam. Das war ärgerlich, vor allem wenn man in Betracht zog, wie Graham sich ihr gegenüber verhielt. Aber egal, jetzt war ihr Sohn schließlich hier. Sie ging nach unten und öffnete die Tür.
    Sie musste sich große Mühe geben und all ihre Selbstdisziplin aufbringen, um nicht alarmiert aufzuschreien, als sie seine Kleidung sah. Graham trug ein Paar zerrissener, ausgefranster, ausgebeulterJeans, Turnschuhe und ein T-Shirt voller Farbflecken, das früher vielleicht einmal weiß gewesen war. Er konnte doch so elegant und attraktiv aussehen, wenn er nur wollte und sich ein bisschen Mühe gab. Mary fand, es sei eine Schande, dass er die meiste Zeit rumlief wie ein Landstreicher.
    »Hallo Mama«, sagte Smitty. »Tut mir leid, ich habe

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