Kapital: Roman (German Edition)
Jahr. Aber sein wahres, sein eigentliches Leben war zu Hause in Polen. Hier war er nur, um Geld zu verdienen. Dieser Gedanke machte die Dinge ein wenig erträglicher, wenn er wieder einmal die Nase voll hatte von dem, was das Immigrantendasein so mit sich brachte. Heute jedoch half ihm das nicht. Nicht bei Weiberproblemen.
Piotr wusste, dass Zbigniew mit Davina zusammen war – wie sollte es auch anders sein –, aber er war sehr taktvoll, wie immer; das war eines der Dinge, die Zbigniew an ihm liebte. Er wartete darauf, dass sein Freund ihm alles erzählte. Also trank Zbigniew einen Schluck Bier und erzählte es ihm in allen Einzelheiten. Es dauerte eine ganze Weile, bis er fertig war.
Er hatte damit gerechnet, dass Piotr ihn auslachen würde. Vielleicht war das sogar genau das, was er von seinem Freund hören wollte: dass die ganze Sache lächerlich war, dass er sich all den Kladderadatsch selbst eingebrockt hatte, dass es ihm nur recht geschahund so weiter. Piotr lächelte tatsächlich ein bisschen, und Zbigniew tat sein Bestes, um die Geschichte so lustig wie möglich klingen zu lassen. Der eingeschworene Romantikfeind, der in einer katastrophalen Beziehung feststeckte, weil der Sex so toll war. Aber Piotrs Lächeln verschwand, als Zbigniew weiterredete. Dann kam Zbigniew mit seiner Erzählung zu Ende und ging zur Bar, um für sie beide noch vier weitere Drinks zu bestellen. Wenigstens betrinken würde er sich heute Abend, wenn schon nichts anderes dabei herauskam.
Als er zum Tisch zurückkehrte, war Piotr damit beschäftigt, mit seinen großen Fingern einen Bierdeckel durch die Gegend zu schnipsen. Zbigniew prostete Piotr mit seinem Wodkaglas zu und trank es in einem Zug aus. Keiner von beiden sagte etwas. Vielleicht würde seine Beichte ja nur mit Schweigen beantwortet werden.
»Ich nehme an, du hast geglaubt, dass ich das lustig finden würde«, sagte Piotr. Er sprach in einem völlig anderen Tonfall zu Zbigniew, als der es von seinem alten Freund erwartet hatte. Es klang ganz so, als würde das nun folgende Gespräch nicht die lustige, trostspendende, die Dinge verharmlosende Unterhaltung werden, die er sich erhofft hatte. »Aber das tue ich nicht. Du weißt, dass ich dich liebe, als wärst du mein eigener Bruder, und dass ich das schon immer getan habe. Aber du hast einen großen Charakterfehler. Du siehst die Menschen nicht als Menschen, sondern nur unter dem Aspekt, wie nützlich sie dir sein können. Du sagst immer, ich sei ein Romantiker, der sich andauernd verliebt, und den ganzen Kram. Darüber flachsen wir gerne, es ist schon fast zu einem Ritual zwischen uns geworden. Schön und gut. Das mag durchaus stimmen. Aber wenigstens kann ich mich verlieben. Bei dir bin ich mir da nicht so sicher. Du benutzt die Frauen. Du benutzt sie zum Teil, um Gesellschaft zu haben, wenn du welche brauchst, aber hauptsächlich benutzt du sie für Sex. Ich habe immer schon geahnt, dass dich das irgendwann in Schwierigkeiten bringen würde, und jetzt ist es passiert. Du hast diese verletzlicheenglische Frau dazu gebracht, sich in dich zu verlieben, und du wirst ihr furchtbar wehtun; du richtest bei ihr einen riesigen Schaden an. Ich höre das daran, wie du über sie sprichst.«
Zbigniew, der mit dieser Rede nicht gerechnet hatte, wurde wahnsinnig wütend, auch weil so vieles von dem, was Piotr gesagt hatte, den Nagel genau auf den Kopf traf. Das Blut stieg ihm in den Kopf, und er geriet in einen geradezu euphorischen Wutrausch.
»Und das sagst du, weil du ein Priester bist? Ein Priester, der mir die Beichte abgenommen hat und mich jetzt von der Kanzel herab anprangert?«
Piotr stand auf und ging. Und das war das. Zbigniew blieb sitzen, trank sein Bier und seinen Wodka, und dann noch eine Runde, und noch eine. Schließlich ging er so betrunken nach Hause, wie er es schon sehr, sehr lange nicht mehr gewesen war.
45
Am Freitag Abend setzte sich Usman nach seiner Arbeitsschicht im Laden auf sein Fahrrad und fuhr durch den Park, um rechtzeitig zum Abendgebet in der Moschee zu sein. Und dabei sah er Folgendes:
Ein Werbeplakat mit einer Frau, die nackt auf einem fliederfarbenen Laken lag und ihr Gesäß in allen Einzelheiten zur Schau stellte, und darunter der Slogan: »Sieht mein Hintern in diesem Outfit zu dick aus?« Ein Plakat mit einer Frau, die ein Stück Schokolade aß, als wollte sie es oral befriedigen. Ein Plakat auf einem Bus, das für einen Horrorfilm warb und über das quer ein Balken gedruckt war mit der
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