Kapital: Roman (German Edition)
zehn Minuten im Auto gesessen und darauf gewartet, dass es sechs wird, damit mir keiner ein Knöllchen verpassen kann. Eine von diesen afrikanischen Politessen hatte mich schon im Visier. Ist an mir vorbeigegangen und hat so getan, als sähe sie mich nicht. Ich schwöre dir, je schöner dein Auto ist, desto höher ist die Gefahr, dass du einen Strafzettel bekommst. Sieht so der Kapitalismus aus?«
»Deine Großmutter schläft. Es kann sein, dass sie von jetzt an die ganze Nacht durchschläft, aber vielleicht wacht sie auch auf. Du weißt, was du zu tun hast, oder?«
Mary hatte es ihm sehr ausführlich erklärt, schon zwei Mal. Es war ganz einfach. Alles, was Graham tun musste, war, zu seiner Großmutter zu gehen und ihr zu helfen, falls sie ihn rief. In der Zwischenzeit hatten sie unten ein Babyfon installiert, damit man sie auch dort rufen hören konnte.
»Klar weiß ich das, Mama. Ich muss nur eine Granate reinschmeißen und den Ersten abknallen, der zu fliehen versucht. Mach, dass du wegkommst. Fort mit dir! Papa lässt dir ausrichten, dass du dir am Taxistand ein schwarzes Taxi nehmen sollst.«
»Alles klar«, sagte Mary, die nicht im Geringsten vorhatte, etwas so Extravagantes zu tun. Und weil sie in der Familie diejenige war, die sich Sorgen machte und Fragen stellte, der es auffiel, wenn etwas nicht stimmte, und die sich kümmerte – und weil Graham so schlampig und abgerissen aussah und den Eindruck machte, als habe er gerade seinen Job verloren oder nie einen Job gehabt oder als hätte er es nicht besonders eilig, einen neuen zu bekommen –, konnte sie es sich nicht verkneifen zu sagen:
»Und bei der Arbeit … alles in Ordnung?«
»Läuft alles wie am Schnürchen, Mama. Jetzt aber los. Genieß den Abend. Ich werde auch nicht an den Schrank mit dem Hochprozentigen gehen.« Er ließ bei diesen Worten seinen Autoschlüssel in der Luft baumeln. »Husch husch. Hau endlich ab. Schwing die Hufe. Stürz dich ins Nachtleben.« Also blieb Mary nichts anderes übrig, als sich ihre Handtasche zu greifen und das Haus zu verlassen.
Nachdem sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, ballte Smitty die Faust zu einer Siegergeste. Jawoll! Volltreffer! Er hatte mit sich selbst eine Wette über zehn Millionen Pfund abgeschlossen, dass sich seine Mutter, egal wie kurz ihre Unterhaltung an der Eingangstür auch ausfallen würde, nicht beherrschen könnte und ihn nach seiner Arbeit fragen würde, oder danach, wie es ihm ging, oder etwas in der Art. Er sagte es tatsächlich laut: »Zehnmillionen Pfund. Hab ich mit mir selbst gewettet.« Es war schön, wenn man bestätigt bekam, dass man recht hatte. Das wurde nie langweilig. Wenn er die Sache mit seiner Mutter und wie sie mit ihm umging, als einen Witz behandelte, dann machte ihn das nicht mehr ganz so krank im Kopf. Aus der Beziehung zu ihr hatte sich für Smitty die folgende Wahrheit herausgeschält: Die Person, die sich Sorgen macht, empfindet das als eine Form von Liebe; die Person, um die man sich Sorgen macht, empfindet es als eine Form von Kontrolle.
Smitty machte eine kleine Tour durch die Zimmer im Erdgeschoss, um nachzuschauen, ob auch alles so war, wie es sein sollte. Und das war es – natürlich war es das. Seine Mutter war womöglich noch ordentlicher als seine Großmutter. Obwohl, jetzt, wo er sich in der Küche umsah, konnte er deutliche Anzeichen dafür entdecken, dass sie wieder mit dem Rauchen angefangen hatte. Im Abtropfgitter war ein Aschenbecher, und in der Luft lag der leise Hauch von Zigarettenqualm. Es war die Art von Geruch, die entsteht, wenn jemand versucht, das Ganze zu vertuschen, indem er immer nur am Fenster raucht, dabei jedoch vergisst, dass ein Nichtraucher die Zigaretten trotzdem noch riechen kann. Ha!Nun ja, vielleicht nur ein bisschen »ha«. Dass seine Mutter wieder mit dem Rauchen angefangen hatte, wäre vielleicht lustig gewesen, wenn es unter anderen Umständen passiert wäre. Dass sie mit dem Rauchen angefangen hatte, weil sie traurig war und weil die Tatsache, dass seine Oma im Sterben lag, sie fertigmachte, das war nichts, worüber man lachen konnte. Also nahm er sein im Geiste ausgesprochenes »ha!« wieder zurück.
Die Küche sah aus wie immer. Es hatte Spaß gemacht, sie als eine Art Zeitreise ins Jahr 1955 zu erleben, jedenfalls zu der Zeit, als seine Oma einfach nur seine Oma gewesen war und so dauerhaft und unveränderlich schien wie etwas, das man in Stein gemeißelt hatte. In gewisser Weise wäre die Küche seiner
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