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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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ihr den Hintern abputzen und sie zurück ins Bett legen und zur Toilette gehen, um die Kacke hineinzuschütten und runterzuspülen und meine Hände zu waschen, und dann muss ich zurück zum Bett gehen und dort sitzen und an die Decke starren und darauf warten, dass ich einschlafe, was nie passiert, aber das weiß ich schon vorher, und es wird erst dann ein Ende nehmen, wenn Mama stirbt, und dann muss ich das Haus verkaufen, und es wird eine Million Pfund wert sein, die mir gehören, und alles wird anders werden, aber wenn ich jetzt daran denke, dann bin ich ein schlechter Mensch, also darf ich an nichts anderes denken als an den heutigen Tag, diesen Augenblick, an die Dinge, die ich hier und jetzt tun muss. Und dann wandte sich Mary wieder den täglichen, unmittelbaren Anforderungen zu, die das Haus, das Krankenzimmer und das Sterben ihrer Mutter an sie stellten. Aber danach fühlte sie sich immer, als wäre ihr das Herz ein klein wenig leichter geworden.
    Ihr einziger Kontakt mit ihrem Zuhause waren Telefongespräche. Und die musste sie sich einteilen, denn sonst hätte sie Alan zehnmal am Tag angerufen, einfach nur, um seine Stimme zu hören. Ben, der erst siebzehn war, war zu mürrisch, als dass man sich gut mit ihm hätte unterhalten können, Alice war weggezogen, um zu studieren, und Graham war mit seinem Leben in London beschäftigt. Also beschränkte sie sich darauf, mit allen dreien ein paar SMS auszutauschen. (»Geht’s dir gut?« »Ja!«) Alan wusste, was sie durchmachte – das war einer der Gründe, warum er so wunderbar war –, aber am Ende gab es nicht viel Hilfreiches, was er hätte sagen können.
    »Ich mache mir Sorgen um dich, Maggie.« Er war der einzige Mensch, der sie je so nannte.
    »Manchmal habe ich das Gefühl, ich schaffe es nicht mehr. Dann denke ich: Ich habe keine andere Wahl, ich muss es schaffen.Darauf läuft es hinaus. Das ist eine von diesen Situationen, wo man einfach nur durchmuss.«
    An diesem Punkt fing Alan dann oft an, dieses Bette-Midler-Lied zu singen, oder jedenfalls so zu tun, als ob: »Did you ever know that you’re my hero?« Das brachte Mary zum Lachen. Aber wenn sie dann aufgelegt hatten, fühlte sie sich dadurch nur noch einsamer. Ihre Mutter lag im Sterben, und sie fühlte sich einsam. Dann sagte sie sich: Sie sind doch nur in Essex. Das ist nicht viel mehr als eine Stunde entfernt, es ist ja nicht so, als wären sie verdammt nochmal in Peru. Aber sie fühlte sich trotzdem sehr allein.
    Und sie hatte auch das Gefühl, schon viel zu lange hier zu sein. Es war an der Zeit, dass ihre Mutter starb; und es war Zeit, dass sie selbst endlich nach Hause konnte. Sie hatte angenommen, dass sie ein oder zwei Wochen in diesem Haus verbringen würde, und jetzt, fast zwei Monate später, war sie immer noch hier. Aber so etwas durfte man nicht denken, es war schlimm, wenn man so ein Mensch war, ein Mensch, der solche Dinge dachte. Also versuchte sie, den Gedanken zu verdrängen.
    Zum Glück war sie wahnsinnig beschäftigt. Weil das Haus in der Pepys Road 42 keine besonders moderne Ausstattung hatte, ließ es sich nur schwer sauber halten. Es gab zahllose Ecken und Winkel, was das Staubsaugen erschwerte und das Staubwischen noch mehr, und am schwierigsten war das Putzen. Es kostete daher unglaublich viel Zeit, das Haus sauber und ordentlich zu halten. Mary war sich bewusst, dass ihr Aufräumfimmel eine Falle war, in die sie tappte, und dass sie damit nur den begrenzten Horizont ihrer Mutter kopierte und die Art und Weise, wie sie in sich selbst stecken geblieben war. Aber das zu wissen änderte nichts. Sie wollte trotzdem, dass alles ordentlich war, denn sie fühlte sich dadurch besser, ruhiger. Unordnung, Chaos, Schlamperei und Dreck lösten in ihr immer das Gefühl aus, dass die Dinge ihr entglitten. Ordnung hingegen erzeugte das gute Gefühl, etwas geleistet zu haben. Heute gab es einen besonderen Grund, Ordnung zu schaffen, denn es würden zwei Besucher vom Hospizkommen, um sich einen Eindruck von Petunias Zustand zu verschaffen. Es bestand die Möglichkeit, dass man sie vorübergehend zur Pflege aufnehmen würde, um Mary eine Pause zu gönnen. Vielleicht war sie aber auch so krank, dass man sie ins Hospiz holen würde, damit sie dort sterben konnte. Oder man würde entscheiden, dass es am besten war, sie hier zu lassen. Aber Mary bezweifelte das.
    Wohnzimmer, Schlafzimmer und Treppe waren in Ordnung, abgesehen von dem schwachen Geruch nach Krankheit und Desinfektionsmittel.

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