Kapital: Roman (German Edition)
erschöpfte, schien in seinen Gedanken nur eine untergeordnete Rolle zu spielen, die man getrost außer Acht lassen konnte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Welt ihren Fehler einsah und ihr Interesse von Smitty ab- und ihm zuwandte, und es war eine lästige Angewohnheit von Smitty, auf der gegenwärtigen hierarchischen Ordnung ihrer Beziehung zu bestehen, da sie sich ja schon so bald und so unvermeidlich ins Gegenteil verkehren würde. Genau so verhielt er sich. Nun, dachte Smitty, soll er sich doch verpissen mit dieser Einstellung. Er glaubt, es sollte sich alles um ihn drehen. Heute wird er feststellen, dass sich hier und jetzt alles um mich dreht.
Das war das Selbstgespräch, das Smitty führte, um sich in die richtige Stimmung zu bringen.
Er hatte sich einen Plan zurechtgelegt. Der erste Schritt würde eine kleine Geste sein, die verdeutlichen sollte, dass die Dinge am heutigen Tag nicht ihren gewöhnlichen Gang gehen würden. Er hatte versucht, schon mal ein Signal zu setzen, indem er seinem Assistenten gesagt hatte, dass sie sich am nächsten Morgen zusammensetzen mussten, um etwas zu besprechen. Und weil Smitty so etwas sonst nie sagte, war das das Warnzeichen Nummer eins. Die zweite Geste – die zweite Sache, die er sonst niemals, absolut niemals tat – war, dass er sich und seinem Assistenten auf dem Weg hierher in dem italienischen Café an der Ecke einen Cappuccino gekauft hatte. Er kam mit Absicht zu spät, damit der Assistent schon vor ihm da sein würde. Und wenn er dann den Cappuccino sah, den sein Arbeitgeber für ihn gekauft hatte, dann würde er wissen, dass etwas nicht stimmte. So sah der Plan aus.
Aber er funktionierte nicht. Als Parker French den Raum betrat, hatte er Kopfhörer auf und sowohl seine Jacke als auch seine Tasche über den rechten Arm gehängt. Dann machte er eine kleine Performance daraus, die Sachen aufzuhängen. Dabei schaltete er weder seinen iPod aus, der in der Hosentasche seiner Jeans steckte, noch nahm er die Kopfhörer aus seinen Ohren. Als Smitty den Raum durchquerte, um ihm den Cappuccino anzubieten, griff er sich einfach den Becher, hörte weiter seine Musik und verließ auch nicht für eine Sekunde seine nervige, weltvergessene, Mir-steht-alles-zu-Luftblase. Falls Smitty Zweifel an seiner Entscheidung gehabt hätte, dann wären sie spätestens jetzt verflogen, als dieser kleine Scheißer sich noch nicht einmal dazu herabließ, danke zu sagen. Er blieb stehen und wartete darauf, dass Parker seine Sachen verstaut hatte. Das dauerte eine Weile. Und dann feuerte er ihn.
Es war ziemlich furchtbar – viel schlimmer, als er erwartet hatte. Nach ungefähr fünf Minuten wurde Smitty klar, dass es eine idiotische Entscheidung gewesen war, die Sache nicht abends zu erledigen, dann, wenn diese Rotznase im Begriff war, nach Hause zu gehen, statt zu einem Zeitpunkt, an dem er gerade zur Arbeit erschienen war. Aber die Sache wurde dadurch erst richtig schlimm, dass sein Assistent, den man nun endlich mit Fug und Recht »Ex-Assistent« nennen konnte, so schwer von Begriff war.
»Wir haben da ein Problem«, hatte Smitty angefangen. »Das hier ist jetzt eins von diesen Es-liegt-nicht-an-dir-sondern-an-mir-Gesprächen.« Jeder einzelne Mensch auf der ganzen Welt weiß, dass es, wenn jemand diese Formulierung benutzt, 1. sehr wohl an dir liegt und du 2. kurz davor stehst, gefeuert zu werden. Aber Parker schien diese Tatsache keineswegs bekannt zu sein. Sein Gesicht nahm einen fast sarkastischen, nicht besonders respektvollen Ich-tu-jetzt-mal-so-als-würde-ich-deiner-Strafpredigt-zuhören-Ausdruck an. Auch andere Autoritätspersonen hatten früher schon mal ein Wörtchen mit ihm geredet, das war deutlich zu erkennen: Eltern, Lehrer, Tutoren. Sein Verhaltenschien zu sagen, dass ihm in der Vergangenheit sein Charme, sein Aussehen und seine Intelligenz (die einem, wie Smitty fand, alle drei nicht sonderlich ins Auge stachen) immer aus der Sache herausgeholfen hatten und dass sie es auch jetzt wieder tun würden. Er hatte die Angewohnheit, während einer Strafpredigt halbherzig so zu tun, als machte ihm das Ganze etwas aus, um danach alles doch wieder genauso zu machen, wie er wollte. Das gab seine Haltung deutlich zu verstehen.
Ungefähr nach der Hälfte des Gesprächs änderte sich Parkers Gebaren jedoch plötzlich. Es wurde ihm klar, dass das hier nicht ein »Du könntest deine Leistungen verbessern«- oder »Du könntest dein Potential besser ausschöpfen«-Gespräch war,
Weitere Kostenlose Bücher