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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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Ironischerweise, als wollte ihn jemand Lügen strafen, lief der Verkehr heute absolut flüssig. Die Ampeln schalteten auf grün, andere Fahrzeuge ließen sie problemlos die Spur wechseln, und die Fußgänger warteten an den Zebrastreifen, bis es von selbst eine Lücke gab. Patrick schaute zu den Sitzbänken auf der anderen Seite des Gangs hinüber. Der Mannschaftskapitän kaute auf einem Kaugummi und starrte geradeaus vor sich hin. Drei Reihen weiter vorne unterhielt sich der Manager mit dem Trainer. Er hielt dabei seine Hände in einer Geste auseinander, als wollte er gleich ein Fadenspiel damit machen, und wiegte sie dann hin und her. Im nächsten Moment fuhren sie von der Straße herunter, die eisernen Haupttore des Clubs öffneten sich, und sie waren im Stadion. Freddys erstes Mal in der Startelf! Es war so weit!

55
    Als sie aus dem Bus ausgestiegen waren, trennten sich ihre Wege. Patrick ging mit Mickey nach oben in die Loge des Club-Präsidenten. Freddy war froh, dass sie fort waren. An einem Spieltag, in den letzten ein, zwei Stunden vor dem Anpfiff, bereitete er sich gerne gedanklich ganz allein vor, und das wurde wesentlich erschwert, wenn seine beiden Vaterfiguren anwesend waren. Der Trainer ging mit solchen Sachen sehr gut um. Die ganzen Vorbereitungen waren schon im Vorfeld geschehen. Freddy hatte seine Instruktionen bekommen, es gab keine Überraschungen in letzter Minute, keine anfeuernde Rede in der Umkleide. Alle waren sie hier, um ihren Job zu erfüllen, und jeder wusste, was er zu tun hatte. Es gab noch ein wenig Zeit, bevor sie hinaus aufs Feld mussten, um sich vor dem Spiel aufzuwärmen. Manche saßen einfach nur da und dachten nach, andere liefen herum, wieder andere hörten Musik. Freddy zog sich immer gerne um, sobald er konnte, und blieb dann eine Weile ganz reglos und still. Er hatte gehört, dass es bei anderen Clubs irgendwelche Rituale gab, man hörte laute Musik oder sang zusammen ein Lied, das Glück bringen sollte. Aber hier war das anders. Hier wurde Männerarbeit geleistet.
    Freddy saß da und dachte darüber nach, was er heute zu tun hatte. Im Grunde genommen hatte er sich fast mit Gewalt ins Team gedrängt. Der Trainer zog es vor, die Formation an der Spitze schmal zu halten, mit einem Stürmer an der vorderen Position und einem, der etwas zurückhing und dafür verantwortlich war, schnelle Konter einzuleiten und die Verbindung zum Mittelfeld zu halten. Außerdem hatte er die Aufgabe, den gegnerischen Innenverteidigern das Leben schwer zu machen, indem er ihnen die Wahl aufzwang, ihn entweder zu decken und dadurch aus ihrerPosition gezogen zu werden, weil sie ihm quer über das Spielfeld folgen mussten, oder ihn frei schalten und walten zu lassen, mit allem Platz, den er brauchte. Mit dieser Formation hatte der Trainer in drei verschiedenen Ländern die Meisterschaft sowie einen Europameistertitel gewonnen. Aber Freddy war ein geborener Flügelstürmer, ein junger Spund, der wie geschaffen war, um den Verteidigern an der Außenseite das Fell abzuziehen, sie in Zweikämpfe zu verwickeln, dann an ihnen vorbeizutänzeln und den Ball zu flanken, oder plötzlich in die Mitte vorzustoßen und aufs Tor zu schießen, oder den Ball für den Mittelfeldspieler abzulegen, der herangestürmt kam – und das immer und immer wieder. Er rannte und rannte, war ein unglaublicher Störfaktor und mit einer Begabung gesegnet, die jeden Verteidiger der Welt zur Verzweiflung brachte: wahrhaftige und verblüffende Geschwindigkeit. Diese Geschwindigkeit bedeutete, dass der Gegner keine Gelegenheit hatte, einen Fehler wiedergutzumachen. Keine Gnade bei einer Unachtsamkeit. Man brauchte nur einmal mit den Augen zu blinzeln, und Freddy war weg. Seine Unbeholfenheit und der irreführende Eindruck, er könne jeden Moment über seine eigenen Füße fallen, waren dabei ebenfalls von Vorteil. Er rannte auf einen Verteidiger zu, sah dabei ganz so aus, als würde er gleich den Ball verlieren, und schoss dann am Angreifer vorbei. Für den Verteidiger bestand in einem solchen Augenblick kein Zweifel, dass er den Ball nun erobert hatte, es war ja ganz unmöglich für Freddy, ihn zuerst zu erreichen. Aber wenn er sich dann umdrehte, um dem Ball hinterherzujagen, tauchte Freddy plötzlich neben ihm auf, zog an ihm vorbei, eroberte den Ball und war verschwunden. Wenn er den Verteidiger erst mal einen halben Meter hinter sich gelassen hatte, war jede Chance, ihn noch einzufangen, vertan.
    Nach Freddys Ankunft waren sich

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