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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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ließ dann los und ging weiter. Patrick spürte, wie ihm die Tränen in die Augen traten, und das kam nicht vom Schulterdrücken. Er musste sich unbedingt zusammenreißen. Er konnte unmöglich am Tag von Freddys Debüt in der Startelf heulend in den Bus getragen werden. In diesem Moment kam – mit perfektem Timing – der Mann, der für die Ausrüstungstaschen verantwortlich war. Er machte immer ein Riesentheater, selbst an den Tagen, an denen ein Heimspiel anstand und die Ausrüstung sich deshalb bereits im Stadion befand. »Hat jemand die Adidas-Taschen gesehen? Weiß irgendjemand, wo die Adidas-Taschen sind? Ich brauche dringend die Adidas-Taschen!«, rief er. Das war für alle eine wunderbare Gelegenheit, sich anzuschauen, die Augen zu verdrehen und ein wenig von ihrer Nervosität abzulegen. Patrick sah, wie Freddy einem seiner Mannschaftskollegen den Ellbogen in die Seite stieß, und schon war der kleine weinerliche Moment auch wieder verflogen. Man sollte nur an die Gegenwart denken. Sollen die Toten ihre Toten begraben. Selbst die Toten, die man am meisten geliebt hat.
    Die Busfahrten zu den Heimspielen waren immer etwas seltsam. Mit dem Bus zu reisen ist für gewöhnlich langsam, unbequem und anonym, und die Entfernungen, die man dabei zurücklegt, fühlen sich immer ewig weit an. Aber der Mannschaftsbus wirkte geräumiger als das Haus der Kamos zu Hause in Linguère und war vor allem besser ausgestattet. Es gab ein Entertainment-System,einen reich gefüllten Kühlschrank und an jedem Sitz einen individuellen Regler für die Klimaanlage. Der Motor war so leise, dass man ihn kaum hörte. Und die Reise war das genaue Gegenteil von anonym. Kaum dass der Bus vom Hotel losgefahren war, fingen die Leute an zu winken, zu hupen und ihre Mannschaftsschals zu schwenken. Oder – weil es ein Spieltag war und deshalb auch immer zahlreiche Fans des gegnerischen Teams in der Stadt waren – sie riefen ihnen Beschimpfungen zu, streckten die Finger zum Victoryzeichen in die Luft und brüllten Beleidigungen, die auf einzelne Spieler gemünzt waren (schwuler Wichser, schwarzes Arschloch, fette Schwuchtel, walisischer Schafebespringer, dickes Judenschwein, ziegenfickender Kinderschänder, scheißefressender Handtuchkopf, katholische Päderastensau, französischer Schwanzlutscher, schwarzer französischer schwuler Wichser und so weiter und so weiter). Einmal war es auch vorgekommen, dass jemand seine Hose runtergezogen und den Insassen des Buses seinen nackten Arsch präsentiert hatte. Patrick hatte Geschichten aus der Vergangenheit gehört, wo es noch viel schlimmer zugegangen sei. Wütende Fans hatten sich angeblich auf den Bus gestürzt und ihn heftig zum Schaukeln gebracht, was ziemlich beängstigend gewesen sein musste. Aber das hier war nicht beängstigend. Der Hass war zwar real und irritierend, aber er hatte auch durchaus etwas Aufgesetztes. Patrick verstand ihn, ohne dass er das jedoch erklären konnte, nicht einmal sich selbst gegenüber. Der Hass war real und gleichzeitig irreal.
    Mickey nahm an diesen Busfahrten so gut wie nie teil. An Spieltagen fuhr er für gewöhnlich schon früher zum Stadion, falls es nicht ein Problem gab, um das er sich kümmern musste. Heute jedoch kam er mit ihnen mit, setzte sich in die Reihe hinter Patrick und Freddy, steckte seinen Kopf in die Lücke zwischen ihren Sitzen und rieb sich andauernd vor Nervosität und Aufregung die Hände.
    »Fühlst du dich gut?«, fragte er Freddy zum zehnten Mal, während sie vom Hotel auf die Straße bogen. Eine Gruppe von Fansstand am Straßenrand, verbeugte sich rhythmisch und spielte das »Wir sind euer nicht würdig«-Spiel. Freddy nickte zum zehnten Mal. »Ich hoffe, es gibt nicht so wahnsinnig viel Verkehr. Wisst ihr, was die allerlängste Zeit war, die wir für diesen Trip gebraucht haben? Sind ja nicht mal zwei Kilometer! Ratet mal! Anderthalb Stunden! Das war letztes Jahr. Eine Hauptwasserleitung war geplatzt, und die hatten zwei Straßen gesperrt. Totaler Verkehrskollaps. Es wäre schneller gegangen, wenn wir alle mit verbundenen Augen und auf allen vieren zum Stadion gekrochen wären. Wir kamen fast zu spät zum Anstoß, stellt euch das mal vor, bei einem Heimspiel! Und es wird jedes Jahr schlimmer. Die Regierung sollte sich mal darum kümmern. Aber tun die was? Scheiß drauf. Das haben die nicht vor. Dafür hassen die Autos viel zu sehr.«
    Mickey plapperte vor lauter Nervosität einfach vor sich hin. Er hörte sich selbst kaum zu.

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