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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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alle einig, dass er erst einmal ein paar Kilo am Oberkörper zunehmen musste, sonst wären die größeren und älteren Spieler, falls sie ihn einholten, leicht in der Lage, ihn mit Gewalt vom Ball wegzudrängen. Aber das hieß auch, dass das zusätzliche Gewicht ihn möglicherweise Geschwindigkeitkosten würde. Das war schon oft geschehen, bei zahllosen anderen jungen Fußballern. Doch bei Freddy geschah nichts dergleichen. Er legte zwar nicht an Körperumfang zu, aber es stellte sich heraus, dass er das gar nicht nötig hatte. Sein Laufstil war so seltsam, unberechenbar, ungelenk und so schwer zu erfassen, dass er in den Köpfen der Verteidiger immer eine Art Kurzschluss auszulösen schien. Er war wie ein Aal. Sie konnten ihn einfach nicht richtig zu fassen bekommen. Der Trainer war zunächst abgeneigt, wirklich an dieses Phänomen zu glauben, aber schließlich musste er einsehen, dass ihn seine Augen nicht täuschten und dass das, was er während zahlreicher kurzer Spieleinsätze und schließlich ganzer Halbzeiten beobachtet hatte, den Tatsachen entsprach. Nun gut, gab er schließlich zu. Freddy war so weit. Und selbst wenn er es nicht war, er würde trotzdem spielen.
    Freddy saß auf der Bank neben seinem Spind, hatte bereits das Trikot und den Trainingsanzug an, den er immer an Spieltagen trug, und schlüpfte nun in seine Schuhe. Auf Mickeys Rat hin hatten sie für die Schuhe noch keinen Werbevertrag unterschrieben, deswegen trug er ein Paar Predators mit ausgeschwärztem Logo. Falls er heute gut spielte und es noch ein paar ähnlich gute Tage gab, dann konnte er einen Vertrag über viele Millionen abschließen. Aber das war Freddy vollkommen egal. Er hatte schon mehr Geld und mehr Zeugs, als er je in seinem Leben brauchen würde. Aber für Mickey und seinen Vater war die Sache von Bedeutung. Also tat er, was man ihm sagte. Das Einzige, was für Freddy zählte, war Fußball. Alles andere war irgendwie unecht.
    Ein Paar glänzender brauner Schuhe tauchte vor ihm auf. Freddy schaute hoch. Vor ihm stand der Trainer, zusammen mit dem Besitzer des Clubs. Es geschah nicht oft, dass der Clubbesitzer in die Kabine kam, und dies jetzt war in den neun Monaten, die Freddy bereits zur Mannschaft gehörte, erst das vierte Mal, dass er ihm begegnete. Das erste Mal war kurz nach seiner Ankunft gewesen, dann bei einer Saisonabschlussfeier des Vereins und schließlich einmal in der Umkleide, als Freddy in der letzten Viertelstundegegen Blackburn eingewechselt worden war und das Siegtor geschossen hatte. Der Besitzer lächelte zu Freddy herunter und sah dabei, wie üblich, unbehaglich aus, während seine Augen unruhig in alle Richtungen schweiften. Er wirkte immer wie ein Mann, der sich wünschte, woanders zu sein. Freddy fing einen Blick seines Trainers auf und erhob sich. Der Besitzer machte eine Geste, er möge sich doch wieder setzen, aber Freddy blieb stehen.
    »Viel Glück heute«, sagte der Besitzer in seinem langsamen, klaren Englisch. »Seien Sie schnell!«
    »Ja, Sir. Danke. Ich werde mein Bestes versuchen.«
    »Mehr als versuchen!«, sagte der Besitzer. »Tun!« Er fing an zu lachen; das war ein wunderbarer Witz. Dann drehte er sich zu dem Trainer. »Tun!« Der Trainer fiel in das Lachen seines Arbeitgebers ein. Immer noch lachend und nickend ging der Besitzer weiter. Freddy setzte sich wieder. Auf der anderen Seite des Raums fing er den Blick des Spielers auf, der am längsten bei dem Verein war, ein zentraler Abwehrspieler, der vor fast zwanzig Jahren aus der Jugendarbeit des Clubs hervorgegangen war und nie den Verein gewechselt hatte. Er zwinkerte Freddy zu.
    Und dann kam auch schon das Ritual, das es jedes Mal vor dem Spiel gab: Sie liefen aufs Feld, machten Dehn- und Aufwärmübungen und hörten sich die letzte kurze Ansprache des Trainers an. Er sagte, was er immer sagte. Die Rede diente als Glücksbringer, als Mantra und auch als guter Rat: »Wir sind besser als die anderen. Ihre einzige Chance, zu gewinnen, ist, sich mehr anzustrengen als wir. Wenn wir uns also mehr anstrengen als sie, dann werden wir gewinnen. Also werden wir genau das tun.« Und dann waren sie im Tunnel. Der Geräuschpegel veränderte sich; der Lärm der Menge klang in dem geschlossenen Raum ganz anders. Das gegnerische Team war ebenfalls da, sie liefen auf der Stelle, und die Stollen unter ihren Schuhen kratzten laut über den Zementboden, vorne die beiden Kapitäne Hand in Hand mit den Maskottchen. Der Schiedsrichter schaute sich um, um zu

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