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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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so tief unter seiner Würde, dass er es schon gar nicht mehr wahrnahm.
    Die Brüder waren auf dem Weg zu einer Sonderversammlung, die die örtliche Polizei, oder vielmehr die von ihr organisierte kommunale Arbeitsgruppe einberufen hatte. Die Versammlung fand in dem Gemeindesaal der großen Kirche am Park statt. Es war für die drei Kamals das erste Mal, dass sie eine christliche Kirche betreten würden. Man hatte die Versammlung deshalb einberufen, weil die Einwohner der Pepys Road fanden, dass die Sache mit den Postkarten, den Videos und dem Blog, alle mit dem Slogan » W IR W OLLEN W AS I HR H ABT «, nun definitiv zu weit gegangen war. Die ausfälligen virtuellen Graffiti im Blog waren eigentlich schon genug gewesen, aber richtig schlimm war es dann geworden, als die Leute auch noch beleidigende Postkarten in ihren Briefkästen gefunden hatten. Darüber hinaus waren in zwei Fällen in der Straße selbst Graffiti aufgetaucht. Jemand hatte an die seitlichen Außenwände der Häuser Nummer 42 und 51 die Wörter »Fotze« und »Wichser« gesprüht. Die Stellen waren von der Straße aus schlecht einzusehen, also konnte man nicht genau sagen, wie lange die Beschimpfungen dort schon gestanden hatten, bevor sie jemandem aufgefallen waren. Einige Anwohner bekamen Umschläge mit äußerst ekelhaftem Inhalt geschickt. In manchen Fällen handelte es sich dabei um gepolsterte Versandtaschen, die mit abscheulich stinkendem Hundekot gefüllt waren. Und eines Nachts im Juni hatten eine oder mehrere Personen einen Schlüsselbund genommen und jedes Auto zerkratzt, das auf der Seite mit den geraden Hausnummern parkte. Der Schaden belief sich auf mehrere Tausend Pfund. Einige der Anwohner hatten sich bei der Polizei beschwert, die sich wiederum bei der Nachbarschaftshilfe danach erkundigt hatte, wie viele Autobesitzer betroffenwaren. Es schien ganz so, als habe es erst einen Fall von krimineller Sachbeschädigung geben müssen, damit die Polizei endlich auf die Angelegenheit aufmerksam wurde. Als sich dann herausstellte, dass jeder Anwohner der Straße auf die eine oder andere Weise mit W IR W OLLEN W AS I HR H ABT in Berührung gekommen war, gelangte man zu dem Entschluss, dass man, wie Shahid es ausgedrückt hatte, »etwas unternehmen musste«. Und so war es zu dieser Versammlung gekommen.
    »Dadurch können sie sich jetzt superwichtig vorkommen«, sagte Shahid. »Das ist einer der seltenen Augenblicke, wo Usman mal recht hat. Diese Angelegenheit ist ein wunderbarer Vorwand, sich über Immobilienpreise zu unterhalten. Endlich dürfen sie mal offen über Geld sprechen. Kein Wunder, dass sie alle ganz aufgeregt sind.«
    Sie betraten das Kirchengelände und gingen zu der Seitentür, die in den Gemeindesaal führte. Die Tür wurde von einem Mann und einer Frau aufgehalten, die sich angeregt unterhielten. Während die Brüder an ihnen vorbeigingen, konnten sie hören, wie die Frau sagte:
    »… aber nur, wenn dadurch nicht die Preise in den Keller gehen, was ein Riesenproblem wäre, denn …«
    Shahid gab seinem Bruder mit der zusammengerollten Ausgabe von Time Out einen Klaps auf den Hintern. Ahmed wedelte mit der Hand nach ihm, als wollte er eine lästige Fliege verscheuchen.
    Der Saal war viereckig, und an den Wänden hingen zahlreiche Poster mit christlichen, karitativen oder ökologischen Themen. Eine Wand wurde fast vollständig von einem großen Siebdruck eingenommen, auf dem eine weiße Taube mit einem grünen Zweig im Schnabel dargestellt war. Es waren hundert Stühle in zehn Reihen aufgestellt worden, und der Raum hatte sich bereits zur Hälfte mit den Anwohnern der Straße gefüllt. Ahmed kannte von einigen den Namen, und fast alle vom Sehen. Die Frau, die die Nachbarschaftshilfe organisierte, stand an der Stirnseite des Saals auf einem niedrigen Podium. Neben ihr standen zwei Polizisten inUniform. Der eine war Ende zwanzig, der andere mindestens zwei Jahrzehnte älter. Ahmed lächelte und nickte allen zu, die er kannte. Keinem schien der Sinn nach Smalltalk zu stehen. Man wartete ungeduldig darauf, dass die Versammlung begann.
    Roger Yount betrat den Saal. Er kam direkt von der Arbeit, und der Nadelstreifenanzug, den er trug, betonte seine Größe und ausgezeichnete Körperhaltung: ein Bild von einem Mann, der das Herz einer jeden Schwiegermutter höherschlagen ließ. Aber wenn ihn die Frauen ansahen, dann fragten sie sich oft: Groß, reich, gepflegt, gut gekleidet – warum bloß finde ich ihn nicht sexy? Roger schaute sich

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