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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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Kollege, Kriminalinspektor Mill, wird Ihnen die Einzelheiten auseinandersetzen. Er wird die Ermittlungen leiten, während ich« – und hier bemühte sich der ältere der beiden Polizisten schon gar nicht mehr, den drohenden Tonfall zu kaschieren – »ein Auge auf ihn haben werde.«
    Der andere Beamte stellte sich ans Rednerpult. Er machte einen sehr gepflegten Eindruck, und sobald er angefangen hatte zu sprechen, wurde deutlich, dass hier eine seltsame Vertauschung der Klassenzugehörigkeit stattgefunden hatte. Denn während der Hauptkommissar in breitestem Cockney gesprochen hatte, klang Kriminalinspektor Mill nach oberer Mittelschicht, um nicht zu sagen fast aristokratisch. Das Ganze wirkte so, als habe man aus Versehen einen Gefreiten zum Vorgesetzten eines Offiziers gemacht. Der Eindruck der Vornehmheit, den der Inspektor vermittelte, wurde noch dadurch verstärkt, dass er sich, bevor er mit dem Reden begann, das Haar aus der Stirn strich, so als fürchtete er, es könne ihm in die Augen fallen. Aber dazu war es gar nicht lang genug,und so wirkte die Geste wie ein atavistisches Überbleibsel aus Zeiten, als er noch einen langen, wallenden Pony gehabt hatte. Einen Moment lang hatte jeder im Raum bei seinem Anblick unwillkürlich einen dieser Schuljungen mit lässigem Haarschnitt vor Augen, von der Sorte, wie man sie auf teuren Privatschulen fand.
    »Vielen Dank, Sir. Danke auch Ihnen, meine Damen und Herren. Die Frage, auf die wir alle gerne eine Antwort hätten, ist doch folgende: Wer ist für diese ganze Geschichte verantwortlich? Ich nehme an, dass zumindest einige von Ihnen denken werden, es wäre vielleicht am einfachsten, wenn man den Betreiber des Blogs ausfindig machen würde. Wir werden den Blog zwar entfernen, aber das ist nicht dasselbe, wie herauszufinden, wer ihn erstellt hat.«
    Der Inspektor redete noch eine Weile darüber, wie raffiniert sie würden vorgehen müssen, um denjenigen zu finden, der hinter dieser – wie er es nannte – Kampagne steckte. Nachdem er zum Schluss gekommen war, sagte er, dass er ihnen nun für etwaige Fragen zur Verfügung stünde. Es gab ein Gemurmel und Gebrumme, und dann streckte Usman seine Hand nach oben. Ahmed, der neben ihm saß, wurde ganz starr vor Verlegenheit. Der ranghöhere der beiden Polizeibeamten zeigte auf ihn. Sein ausgestreckter Finger wirkte, als wollte er eine Beschuldigung erheben.
    »Dieser Herr dort.«
    Mit seinem süßlichsten und verständigsten Tonfall – eine Waffe, die er auch bei Familienstreitigkeiten einsetzte, um die anderen zur Weißglut zu bringen – sagte Usman: »Woher wissen Sie, dass der Schaden an den Autos von derselben Person verursacht wurde, die auch für den Rest verantwortlich ist?«
    Aus der Reglosigkeit, mit der der Hauptkommissar und der Kriminalinspektor diese Frage entgegennahmen, und auch weil sie es tunlichst vermieden, sich anzuschauen, konnte man erkennen, dass sie ihnen gar nicht gelegen kam. Der jüngere der beiden Männer antwortete als Erster.
    »Ja. Ich verstehe, was Sie damit meinen. Um es kurz zu sagen, es gibt dafür Anzeichen, die wir hier nicht näher erläutern können. Diese … Vorfälle passen in ein Muster. Unsere Schlussfolgerung, oder besser gesagt, unsere Einschätzung ist, dass sie von ein und derselben Person stammen.«
    Sowohl die Körpersprache als auch der Tonfall des Polizisten während dieser Antwort legten nahe, dass eine daran anknüpfende Frage nicht erwünscht war, aber Usman ließ sich nicht beirren.
    »Und Belästigung, das ist doch sowieso etwas, das nur in den Köpfen der Leute existiert, oder? Die Person, die sich belästigt fühlt, tut das doch nur in Gedanken, sozusagen, stimmt’s? Wenn ich mich also zum Beispiel von Ihnen belästigt fühle, zählt das dann schon als Belästigung?«
    Ahmed, der neben seinem Bruder saß, war vor Entsetzen wie gelähmt. Falls ich Usman auf der Stelle umbringe, dachte er, ihn hier und jetzt totschlage, würde mir dann nicht erstens Allah freimütig vergeben und mich zweitens eine britische Jury von Gleichgesinnten nicht sofort freisprechen?
    »Ich denke, wir schweifen da etwas vom Wesentlichen ab«, sagte der Beamte mit kühler Selbstbeherrschung. »Die meisten der hier Anwesenden sind gekommen, weil sie aufgebracht sind und sich wegen der Dinge, die passiert sind, Sorgen machen. Es ist nicht ganz fair, das als etwas zu bezeichnen, das nur ›in ihren Köpfen‹ passiert. Die Leute fühlen sich von dem- oder denjenigen, die verantwortlich sind,

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