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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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Alan hatten entschieden, ihn nicht selber auszubauen. Diese Nachricht nahm Zbigniew mit Erleichterung auf, denn obwohl er bereits bei ähnlichen Umbauten mitgewirkt hatte, war er sich nicht sicher, ob er auch in der Lage war, ein solches Projekt als verantwortlicher Unternehmer zu leiten. Das Gleiche galt für den Keller: Zbigniew hatte verschiedentlich dabei geholfen, Keller umzubauen, hatte Erfahrung damit gesammelt, wie es sich anfühlte, wochenlang den Londoner Lehm wieder aus den Poren seiner Haut zu schwitzen, und er bedauertees durchaus nicht, dass ihm das in diesem Fall erspart blieb. Der Grund dafür (den Zbigniew jedoch nicht kannte) war in beiden Fällen die Tatsache gewesen, dass die Erbschaftssteuer nach Petunias Tod so enorm gewesen war, dass Mary und ihr Mann kein Kapital mehr zur Verfügung hatten, mit dem sie den Umbau vor dem Verkauf des Hauses hätten finanzieren können. Alan hätte einen Kredit aufnehmen können, aber sie hatten beide das Gefühl, dass es irgendwie absurd gewesen wäre, einen Haufen Geld zu erben und sich als Folge dessen dann gleich zu verschulden. In dieser Hinsicht waren Alan und Mary sehr altmodisch. Also arbeitete Zbigniew allein. Dabei fing er mit den kleinen Zimmern oben im Haus an. Er löste die Tapete ab und entfernte die etwas seltsamen Trennwände aus Gips, die schon seit Marys Kindheit dort gewesen waren und die aus kleinen Schlafzimmern noch kleinere Schlafzimmer gemacht hatten. Er riss die elektrischen Leitungen raus und strich die Wände mit Testfarben, damit Mary sie bei ihrem nächsten Besuch in der Pepys Road in Augenschein nehmen konnte. Zbigniews Ziel war es, in ungefähr vier Monaten mit den Arbeiten fertig zu werden.
    Während der ersten Tage, die er in der Pepys Road Nummer 42 verbrachte, war Zbigniew ziemlich angespannt, ohne dass er verstanden hätte, warum. Dann wurde ihm klar, dass es an Davina lag. Es war fast so, als rechnete er jeden Moment damit, dass es an der Haustür klingelte und sie dann draußen vor ihm stehen würde, oder dass sie zu Hause in seiner Wohnung auf ihn wartete. Immer wenn sein Handy klingelte, dachte er, der Anruf käme von ihr. Wenn er draußen eine Frau im passenden Alter und mit der gleichen Haarfarbe sah, dann glaubte er stets für einen Moment, sie wiederzuerkennen, bis er dann näher hinschaute und entdeckte, dass sie es gar nicht war. Seine Nerven gerieten jedes Mal in Aufruhr, in Erwartung einer weiteren Konfrontation. Aber diesmal, das nahm er sich fest vor, würde er nicht ruhig und vernünftig bleiben. Falls sie noch einmal versuchen sollte, ihre Trennung rückgängig zu machen, würde er zornigund grob werden. Das würde dann wohl hoffentlich den gewünschten Effekt haben.
    Er arbeitete gerne allein, aber trotzdem war es irgendwie seltsam, den ganzen Tag in einem leeren Haus zu verbringen. Die Arbeit war nicht besonders schwierig oder anspruchsvoll und ermüdete ihn körperlich in genau dem Maß, das er als angenehm empfand. Ein Großteil des Hauses war schon sehr lange Zeit nicht mehr angerührt worden. Die Tapete war fast fünfzig Jahre alt – Mary hatte erzählt, dass sie sich nicht daran erinnern konnte, je eine andere Tapete gesehen zu haben. An manchen Stellen zerbröselte sie ihm in den Fingern, während er versuchte, sie von der Wand zu lösen, und berieselte ihn mit feinem Staub und dem feuchttrockenen Geruch von Papier und altem Kleister. Die elektrischen Leitungen waren älter als alles, was ihm bisher begegnet war, wahrscheinlich hatten sie ebenfalls mindestens ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel. Bei ihrem Ausbau erfüllte der Geruch nach altem Staub und Mauerstein die Luft. Die Kabelreste und Tapetenabfälle häuften sich auf dem Boden zu zahlreichen Müllbergen. Mary hatte einen Baucontainer bestellt und eine dreimonatige Erlaubnis beantragt, ihn vor dem Haus aufzustellen. Das Bestellen des Baucontainers war schnell erledigt, aber die Erlaubnis der Gemeindeverwaltung ließ wesentlich länger auf sich warten. Für den Augenblick war Zbigniew also mit dem Schutt und dem Müll allein im Haus. Um sich die Illusion zu verschaffen, er hätte Gesellschaft, gewöhnte er es sich an, das Radio laut laufen zu lassen. Und weil er im obersten Stockwerk bereits alle elektrischen Leitungen herausgerissen hatte, stellte er es unten auf den Treppenabsatz, direkt vor das Schlafzimmer, in dem Petunia gestorben war. Jedes Mal, wenn er an der Tür vorbeiging, musste er an die alte Frau denken, wie sie sterbend in ihrem

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