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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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viel leichter verstehen, wenn sie nur aufhören würden zu brüllen. Und zusätzlich zu all diesen Stimmen in seinem Kopf waren da auch noch die nackten Tatsachen: Es befanden sich fünf bewaffnete Polizisten in seinem Schlafzimmer und zielten mit ihren Pistolen auf seinen Kopf.
    »Drehen Sie sich um, drehen Sie sich verdammt noch mal um«, brüllte der Polizist, der ihm am nächsten stand. Hinter ihm und von draußen konnte er erstaunlich viel Krachen und Poltern hören. Shahid hatte einmal, als er mit einer Grippe im Bett lag, eine Fernsehsendung gesehen, in der eine Gruppe von Möchtegern-Bauhandwerkern in einem Haus alle nichttragenden Wände rausgeschlagen und abgerissen hatten. Der Krach, den sie dabei machten, war dem Geräusch sehr ähnlich, dass er nun aus seinem Wohnzimmer und seiner Küche hörte. Das war auch etwas, das eine der Stimmen in seinem Kopf sagte. Gleichzeitig übermannte ihn jedoch eine ganz plötzliche Todesangst. Ich könnte sterben, hier, jetzt, heute. Er drehte sich um. Etwas bohrte sich – mit dem gesamten Körpergewicht eines Mannes – zwischen seine Schulterblätter,während ihm die Arme brutal auf den Rücken gezerrt wurden. Er spürte die Berührung von kaltem Kunststoff und hörte dann einen Klick. Wahrscheinlich hatte man ihm gerade Handschellen angelegt. Was sie einem im Fernsehen nie zeigten, war, wie sehr diese Position, in der man gefesselt wurde, schmerzte, und wie unbequem sie war, und wie unglaublich verletzlich man sich darin fühlte. Mit dem Gesicht nach unten und mit Handschellen gefesselt kam er sich so hilflos und bewegungsunfähig vor wie ein Käfer, der auf den Rücken gefallen war.
    Zwei oder mehr Händepaare zogen Shahid hoch und stießen ihn aus dem Zimmer. Er konnte sechs Polizisten vor sich sehen und noch mehr hinter sich hören und wusste, dass sich in der übrigen Wohnung noch weitere aufhalten mussten. Alle waren kaukasischer Herkunft und wirkten verkniffen und aggressiv. Als er wieder ein wenig zu sich gekommen war, konnte er feststellen, dass ungefähr die Hälfte von ihnen bewaffnet war, während die andere Hälfte Overalls und Handschuhe trug und die Wohnung durchsuchte. Einer von ihnen hatte bereits seinen Computer hochgefahren und sich an die Tastatur gesetzt. Es sah eindeutig so aus, als suchten sie nach etwas Bestimmtem. Durch die Tür des Schlafzimmers konnte er sehen, dass sie alle Schubladen in der Küche herausgezogen und auf der Erde ausgeschüttet hatten. Es war ihm bis jetzt gar nicht klar gewesen, wie viel Besteck und Geschirr er besaß.
    Von hinten, so dass er nicht sehen konnte, wer es war, warf ihm jemand eine Jacke über die Schultern, und ein anderer Polizist stellte sich vor ihn hin und hielt ihm eine Jogginghose entgegen. Einen Moment lang verstand Shahid nicht, was er von ihm wollte. Dann wurde ihm klar, dass er die Hose anziehen sollte. Nachdem sie ihn erst die ganze Zeit angeschrien hatten, waren die Polizisten jetzt ganz still geworden, als erwarteten sie von ihm, dass er schon von selbst darauf kommen würde, was er nun zu tun hatte. Der Polizist hielt ihm die Hose hin, und Shahid kletterte hinein, wie ein Kind, dem man hilft, seinen Schlafanzug anzuziehen. Dannbehandelten sie ihn plötzlich wieder sehr unsanft, schubsten ihn vor sich her, durch das Chaos, durch die Wohnung voller Polizisten, auch wenn es hier eher so aussah, als hätten Einbrecher darin gewütet, und dann die Treppe hinunter. Das war eine sehr beängstigende Erfahrung, denn er wurde halb gestoßen, halb getragen und fand wegen der Handschellen nie sein Gleichgewicht. Sie kamen an der Seitentür des Cafés vorbei, die sich gerade öffnete, während er nach draußen geschleppt wurde.
    Vor dem Haus wartete ein Polizeitransporter; er parkte mitten auf der Straße, seine rückwärtigen Türen lagen der Haustür direkt gegenüber. Bei einem Zivilisten wäre ein solches Parkmanöver vollkommen illegal gewesen. Der Mann, der Shahid vor sich her schob, immer so, dass er gerade eben aus dem Gleichgewicht geriet und dachte, er würde jeden Moment hinfallen, schubste ihn so heftig gegen die Rückseite des Transporters, dass er sich die Knie aufstieß. Dann schlug ein anderer Polizist dreimal gegen die Hecktür, und ein Kollege öffnete ihm von innen. Shahid wurde grob, wenn auch nicht brutal nach oben, ins Innere des Transporters und ganz nach hinten geschoben, wo zwei nicht bewaffnete Polizisten saßen und ihn in Empfang nahmen. Der Transporter hatte Bänke an den Seiten und

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