Kapital: Roman (German Edition)
machte einen schuldigen Eindruck. Es gab keinerlei Hinweise, und niemand verhielt sich verdächtig. In der Pepys Road selbst versuchte er, einen kosovarischen Hilfspolizisten zu befragen, der überhaupt nicht Englisch zu sprechen und auch so gut wie nichts zu verstehen schien. Allmählich kam ihm diese ganze Idee ziemlich dämlich vor. Sie passte nicht mehr in die heutigen Zeiten. Diese Leute waren nicht der Schlüssel zu dem Geheimnis. Das Problem war vielmehr, dass sie zu der Gegend, in der sie arbeiteten, überhaupt keinen Bezug mehr hatten.
Es fehlten ihm noch vier Namen von der Liste. Einer davon endete mit einem »-ic«, weswegen man davon ausgehen konnte, dass es sich hier um einen weiteren Kosovaren handelte. Die übrigen Namen klangen alle afrikanisch. Gegen zwei Uhr war Mill zu der Überzeugung gelangt, dass die Idee, Politessen und Hilfspolizisten zu befragen, ein totaler Fehlschlag gewesen war. Aber er konnte nicht aufhören, denn er musste einen einigermaßen überzeugendenBericht schreiben und sich gegen alle Eventualitäten absichern. Und dafür musste er jeden für diese Gegend zuständigen Hilfspolizisten befragt haben. Erst dann durfte er das Ganze zu den Akten legen und vergessen. Das konnte man dann als eine Art Ergebnis bezeichnen. Mill ging in einen Sandwichladen auf der Hauptstraße. Im Innern des Geschäfts wurde ihm klar, dass es viel teurer und trendiger war, als er gedacht hatte, aber es schien ihm die Mühe nicht wert, seinen Platz in der Warteschlange aufzugeben und sich einen anderen Laden zu suchen. Er bestellte sich ein Ciabatta-Sandwich mit Gouda, Prosciutto und Rucola und eine Flasche Mineralwasser, die sage und schreibe zwei Pfund kostete. Er würde davon für den Rest seines mühseligen Nachmittags aufstoßen müssen, aber wenigstens gaben die Kohlensäurebläschen einem die Illusion, dass man etwas Interessantes trank. Er setzte sich mit seinem fünf Pfund teuren Sandwich an einen Fensterplatz und beugte sich beim Essen vorsichtig nach vorn, damit er seinen Anzug nicht bekleckerte. Währenddessen zückte er sein Notizbuch und sah die Namen und Adressen durch. Drei davon waren in der Gegend, die vierte war lästigerweise in Croydon. Er würde mit der Adresse anfangen, die ihm am nächsten lag. Das war ein Fußmarsch von ungefähr zwanzig Minuten. Man musste schließlich den Umstand ausnutzen, dass heute einer der wenigen Tage dieses Sommers war, an denen es gerade mal nicht regnete.
Das Sandwich war ziemlich gut, wie er zugeben musste. Es machte Mill nichts aus, viel für etwas zu bezahlen, solange er das Gefühl hatte, auch etwas für sein Geld zu bekommen. Er wischte sich den Mund mit einer Serviette ab und machte sich dann auf den Weg die Hauptstraße hinunter. Auf dieser Strecke, die am Parkrand entlangführte, hatte in letzter Zeit eine Bande von Straßendieben ihr Unwesen getrieben. Sie waren auf Fahrrädern unterwegs und nahmen jeden aufs Korn, der gerade mit einem Handy telefonierte. Mill hatte in diesem Fall ermittelt, bevor man ihn davon abgezogen und ihn auf diese Geschichte hier angesetzt hatte. Die Diebe kamen aus der Sozialsiedlung, die nur ein paarStraßen weiter lag. Sie kannten alle Schleichwege und Fußgängerwege wie ihre Westentasche und waren deshalb schwer zu fassen. Aber während der langen Sommerabende hatten ihre Aktivitäten etwas nachgelassen.
Am Fischteich lungerte eine kleine Gruppe von Teenagern im schulpflichtigen Alter herum. Es waren noch keine Ferien, also hätten sie eigentlich gerade in der Schule sein sollen. Mill bemerkte sie zwar, aber sein Tag schien ihm ohnehin schon so vergeudet zu sein, dass er keine Lust hatte, jetzt auch noch Schulschwänzer zu schikanieren. Außerdem war das ein Job für uniformierte Polizeibeamte. Ach, die Uniform. Er vermisste sie kein bisschen.
Er hatte die Entfernung ein wenig unterschätzt – als er endlich in Balham ankam, war er bereits seit einer halben Stunde unterwegs, und seine Füße fingen an zu schmerzen. Na, wenigstens konnte er am Ende dieses verschwendeten Tages stolz darauf sein, ein wenig für seine Fitness getan zu haben. Er schaute noch einmal in seinem Notizbuch nach, fand das betreffende Haus und klingelte im zweiten Stock. Eine tiefe, argwöhnische, männliche Stimme mit afrikanischem Akzent fragte durch die Sprechanlage:
»Ja?«
»Kwama Lyons?«
Die jetzt folgende Pause war länger, als sie hätte sein sollen, und Mill war augenblicklich in Alarmbereitschaft.
»Ja?«
Leute, die sofort
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