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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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Augenblick musste er jedoch ziemlich viel Drecksarbeit selbst erledigen. Das bedeutete viel Routine: von Tür zu Tür gehen, lästiger Papierkram – so zumindest stellten sich seine Vorgesetzten vor, wie er seine Zeit zu verbringen hatte. Aber das ließ sich nun mal nicht ändern. Er genoss es nicht gerade, und manchmal, wenn er wieder einmal mit monotoner Routinearbeit beschäftigt war, drängte sich ihm der Gedanke auf, dass es ein bisschen so war, als würde man ein Rennpferd vor einen Pflug spannen. Aber er nahm es gelassen. Seine Karriere würde entweder steil nach oben gehen oder auch nicht. Für den Augenblick aber musste er sich ins Zeug legen und das tun, was man ihm auftrug. Heute hieß das, dass er 1. irgendwie an eine Liste von Politessen und Hilfspolizisten kommen musste, die in der Gegend der Pepys Road Dienst hatten, und dass er 2. hingehen und mit ihnen reden musste.
    Mill wusste, dass Hilfspolizist zu sein ein ziemlich mieser Job war und dass ihn deshalb hauptsächlich Einwanderer ausübten, die erst vor Kurzem ins Land gekommen waren. Sie neigten auch dazu, sich zu Cliquen zusammenzuschließen. Wenn jemand aus einem bestimmten Land einen Job ergattert hatte, dann erzählte er seiner Familie und seinen Freunden davon, und die suchten dortdann ebenfalls nach einem Job. Das war überall in der Welt das Gleiche. In diesem Teil der Stadt stammten die meisten Hilfspolizisten aus Westafrika. Das erzeugte ziemlich viel rassistischen Zündstoff, insbesondere was die hier einheimischen Schwarzen mit karibischen Wurzeln anbetraf. Mill stellte sich bereits im Vorfeld auf einen völlig vergeudeten Tag ein, den er damit verbringen würde, misstrauische und verschlossene Hilfspolizisten aus Westafrika zu befragen, die nicht besonders gut Englisch können und so tun würden, als wären ihre Sprachkenntnisse sogar noch schlechter als in Wirklichkeit. Ich könnte kündigen, dachte er. Ich könnte jetzt sofort kündigen … und dieser Gedanke half ihm dabei, aus dem Bett zu klettern und die Sache in Angriff zu nehmen.
    Er begann sein Tagewerk mit einem Besuch bei der Verkehrsüberwachungsfirma, die für die Parkregelung in diesem Viertel zuständig war. Der Auftrag der Parküberwachung, den die Firma hatte, war mit so wenig Feingefühl, mit einer solch aggressiven Jagd nach den offiziell gar nicht vorhandenen Quoten und Boni umgesetzt worden und hatte zu einer derartigen Anhäufung von Fällen geführt, bei denen Autos mit Parkkrallen versehen oder abgeschleppt worden waren, einer solchen Goldgrube von Ätsch!-Erwischt!-Knöllchen und Abtransporten, einer solchen Orgie von ungerechten, bösartigen, irrtümlichen und ganz einfach falschen Strafzetteln, dass es den jeweils amtierenden Stadtrat bei Kommunalwahlen nicht nur ein-, sondern sogar zweimal die Macht gekostet hatte. Und es gab nichts, was der Stadtrat dagegen unternehmen konnte. Die Bedingungen des Vertrags wurden von der Landesregierung diktiert, so dass es auf lokaler Ebene keine effektive Kontrolle gab. Es war das klassische Problem der Kommunalpolitik: totaler Pfusch, der nicht behoben werden konnte, und niemand war dafür verantwortlich.
    In der Hauptverwaltung der Überwachungsfirma schien man jedoch keinerlei Schuldgefühl oder überhaupt ein Bewusstsein für diese Problematik zu besitzen. Und man hätte auch lange nach einem Ort suchen müssen, an dem man der Devise »Es ist uns egalund es geht uns nichts an« noch treuer verbunden war. Mehrere gelangweilte Männer und Frauen saßen vor ihren Computerbildschirmen, während zwei verschiedene Radiostationen miteinander um die Vorherrschaft kämpften. Das eine Ende des Büros bevorzugte Magic FM , das andere hörte lieber Heart . Wenn man sich an den jeweiligen Enden des Raumes befand, war es okay, aber in der Mitte ließ sich dieses Kreuzfeuer nur schwer ertragen. Ein Mann mit einem schmalen Rattengesicht kam zu Mill, stellte sich vor ihn hin und verschränkte die Hände. Er schien ganz offensichtlich zu wissen, dass Mill ein Polizeibeamter war. Mill bat um die Liste mit den Namen und Adressen, man gab sie ihm, und dann machte er sich auf, um die einzelnen Hilfspolizisten und Politessen auf ihrer Streife ausfindig zu machen.
    Es war ein langer Vormittag. Mill sprach mit einem Ghanaer und vier Nigerianern, von denen keiner etwas über die Pepys Road oder über W IR W OLLEN W AS I HR H ABT zu wissen schien. Sie waren entweder argwöhnisch, mürrisch oder vollkommen ausdruckslos, aber keiner von ihnen

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