Kapital: Roman (German Edition)
vollkommen neue Quentina werden!
Natürlich musste sie zum Ausstellen eines Strafzettels anhalten, aber in den Abschnitten dazwischen schoss sie durch die Gegend wie eine wildgewordene Mamba. Wie schnell sie war! Als hätte sie einen Raketenantrieb! Na ja, vielleicht nicht ganz so schnell. Aber sie verlangte sich ein deutlich höheres Tempo ab alssonst, die Pepys Road hinunter, die Mackell Road wieder hinauf, seitlich in die Lindon Road, wieder zurück in die Gegenrichtung, alles viel schneller als sonst. Zumindest versuchte sie es. Aber immer, wenn sie sich anstrengte, bekam sie diesen komischen, hartnäckigen, ärgerlichen Husten. Ich bin schrecklich schlecht in Form, dachte Quentina. Ich bin ein Elefant. Ich habe gerade noch rechtzeitig mit diesem Training angefangen. Quentina hatte kein Problem damit, irgendwann in der Zukunft einmal zu einer jener ausladenden afrikanischen Großmütter zu werden. Sie würde zweifellos so enden wie ihre Mutter oder die Mutter ihrer Mutter, gewichtige, voluminöse, sehr weiblich geformte Frauen. Aber jetzt noch nicht. Wenn sie erst einmal Kinder hatte und ihr Leben in geordneten Bahnen verlief. Mashinko Wilson würde einen guten Ehemann abgeben. Er wirkte so, als könnte er gut mit Kindern umgehen und auch gut mit Geld oder mit einem Haus. Ein Mann, für den man gerne kochen würde und bei dem man sich freuen würde, wenn er abends nach Hause kam, ein Mann, mit dem man an den Wochenenden gemütlich im Bett bleiben konnte …
In der Mackell Road entdeckte Quentina einen Audi A8, hinter dessen Windschutzscheibe ein Tagesparkausweis lag. Man hatte die richtigen Felder in dem Parkausweis ausgefüllt, den Tag, das Datum, den Monat und das Jahr; aber die Person, die den Ausweis benutzte, hatte vergessen, das Kennzeichen des Autos einzutragen. Solche Sachen waren immer schwer zu entscheiden. Auf der einen Seite waren die Richtlinien der Überwachungsfirma unmissverständlich: Falls der Ausweis nicht korrekt und vollständig ausgefüllt worden war, musste man einen Strafzettel ausstellen. Auf der anderen Seite war das jedoch nicht alles, was in diesem Zusammenhang eine Rolle spielte. Hier hatte ganz offensichtlich jemand eine in der Straße wohnende andere Person besucht, die ihm den Ausweis für ein paar Stunden geliehen hatte. Und die Person, die sich den Ausweis ausgeliehen hatte, hatte sich ihn nicht genau genug angeschaut. Quentina warf einen Blick in das Auto. Im Innern sah sie einen Hundesitz und eine Reisedecke. DerBesitzer des Autos musste von relativ weit her gekommen sein. Es schien ihr nicht sehr fair zu sein, aber so waren eben die Regeln. Durch das Ausstellen des Strafzettels trug sie zu ihrer Quote bei. Und falls sie es nicht machte, würde es die nächste vorbeikommende Politesse tun. Das Leben war nicht fair. Außerdem würde, wenn sie Glück hatte, ein Dreiliter-Audi A8 mit voller Spezialausstattung den Wettbewerb um das teuerste beim Falschparken erwischte Auto gewinnen. Quentina schrieb den Strafzettel, schob ihn unter den Scheibenwischer und machte ein Foto. Bei Fotos von Parkausweisen musste man besonders aufpassen, damit gewährleistet war, dass die relevanten Einzelheiten auf dem Bild auch klar und deutlich erkennbar waren.
Heimweh war ein seltsames Gefühl, fand Quentina. Manche Frauen in dem Wohnheim hatten es andauernd, wie einen steten Schmerz, der an einem nagte. Deshalb waren sie auch so schweigsam und in sich gekehrt. Es war ein bisschen so wie das Gefühl, das Leute haben, wenn sie glauben, krank zu werden: Sie verstummen dann ganz einfach. Quentina empfand das anders. Bei ihr war es eher so, dass das Heimweh sie ganz plötzlich überfiel, in ganz bestimmten Momenten, die an besondere Gefühle oder Erinnerungen gekoppelt waren. Heute, als sie um die Ecke der Pepys Road bog, schnappte sie ganz unvermittelt den Geruch von Holzfeuer und heißer Asche auf, und sofort fühlte sie sich an den Stadtrand von Harare zurückversetzt, wo der Rauch aus dem Hof ihrer Familie oder dem der Nachbarn herübertrieb, von einem Kochfeuer oder einem zum Verbrennen von Abfall oder einem Feuer, das man einfach nur so angezündet hatte. Dabei wirkte es immer so, als umhülle einen der Rauch absichtlich, als suche er sich einen Menschen, an den er sich heften konnte. Es war eine komische Zeit, um mitten in London Holz zu verbrennen; jemand musste damit gewartet haben, bis das schlechte Wetter vorbei war. Das Holz war nass, wodurch das Feuer sehr herbstlich roch, aber es brannte
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