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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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dem Haus gekommen, ein bisschen widerstrebend und mit dem Vorsatz, Zbigniew eine ordentliche Strafpredigt zu halten, weil er vergessen hatte, sein Handy aufzuladen. Dann hätte er einen Blick durch den Briefschlitz geworfen und erst daraufhin hätte er vielleicht gedacht: Ich frage mich, was das für ein Geruch ist …?
    Der Gedanke nahm in seinem Kopf nur sehr langsam Gestalt an, aber als er es einmal getan hatte, wurde ihm ganz schwach in den Knien. Er atmete tief ein und ging dann nach unten, wobei er sich auf dem unteren Treppenabsatz noch einmal umschaute und einen Blick auf die Stelle warf, von der der Putz abgebröckelt war. Immer noch rieselten kleine Staubkörner herunter. Das war knapp gewesen. Ab und zu gab es Momente, da beneidete er Leute, die rauchten. Das hier war so ein Moment. Rauchende Menschen hatten etwas, womit sie sich in solchen Situationen ablenken konnten. Stattdessen setzte sich Zbigniew für zehn Minuten auf die unterste Treppenstufe. Dann ging er langsam zurück nach oben und machte sich wieder an die Arbeit, immer bereit, zur Seite zu springen, falls er das Gefühl bekam, es könnte Gefahr im Verzug sein.
    Am selben Tag ging er hinüber zur Nummer 51 und sagte Mrs Yount, dass er die Anstreicharbeiten für sie erledigen würde. Er hatte das ohnehin immer schon halb gewollt, nicht des Geldes wegen, sondern um noch einmal die Gelegenheit zu bekommen, dieser aufreizenden, distanzierten, jungen ungarischen Frau zubegegnen. Aber es war die Erkenntnis seiner Isolation gewesen, die Erkenntnis, wie sehr er in diesem Londoner Leben von allem abgeschnitten war, die ihn schließlich zum Handeln veranlasste. Polen mochte in einer Weise real sein, wie Großbritannien es nicht war, aber für den Augenblick wohnte er hier. Und während er hier wohnte, konnte er genauso gut versuchen, ein Leben zu führen, das aus mehr bestand als nur aus Arbeit. Das war zumindest der Plan.
    »Bogdan, das ist ja absolut fantastisch«, rief Mrs Yount. Er sagte ihr, dass er in der folgenden Woche anfangen könne. Das Streichen der Wände würde seiner Einschätzung nach ungefähr vier Tage in Anspruch nehmen. Er würde sich eine kleine Pause von der Arbeit in Nummer 42 gönnen. Er plante jedoch, trotzdem zu Beginn und am Ende eines jeden Tages dort vorbeizuschauen, um nach dem Rechten zu sehen und sein Gewissen zu beruhigen. Er hatte also vier Tage, um bei der Ungarin Eindruck zu schinden. Danach konnte er noch eine paar Werkzeuge und Pinsel dort »vergessen«, und es würde vielleicht auch noch andere Gelegenheiten zu einer Begegnung geben – aber seine beste Chance lag eindeutig in diesen vier Tagen.
    Der erste Tag war eine Katastrophe. Zbigniew hatte bei seinen Plänen nicht berücksichtigt, dass gerade Sommer war. Matya und die Kinder verbrachten die meiste Zeit im Freien. Wenn man dann noch einbezog, dass die Bereiche, die er streichen sollte, ganz oben im Haus waren – er strich diese Wände nun zum dritten Mal –, dann war es kein Wunder, dass er den ganzen Tag keine Gelegenheit bekam, auch nur ein einziges Wort mit ihr zu sprechen. Er konnte hören, wie sich unten die Haustür öffnete und schloss, und einmal glaubte er, Matya und die Kinder von ihrer Mittagessensverabredung zurückkommen zu hören. Aha!, dachte Zbigniew. Das ist die Gelegenheit! Ich gehe runter in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen! Aber als er im Begriff war hinunterzugehen, nachdem er erst in dem Spiegel im Bad überprüft hatte, wie er aussah, sich dann ein wenig Farbe aus dem Gesicht gewischtund seine Haare glattgekämmt hatte, hörte er, wie sich die Haustür schon wieder schloss. Das war nicht fair. Gönnte man diesen armen Kindern denn überhaupt keine Pause?
    Einige von den Handwerkern und Malern, die er kannte, wären bei dem Gedanken, bereits getane Arbeit überstreichen zu müssen, in Depressionen verfallen, aber Zbigniew erlaubte sich solche Gefühle nicht. Falls er diese Arbeit nicht machte, würde sie jemand anderes tun, und wenn ohnehin jemand dafür Geld bekam, dann konnte es genauso gut auch er selbst sein. Also arbeitete er weiter und lauerte auf die nächste Gelegenheit. Matya kam um fünf zurück, und Zbigniew ging einfach unverfroren nach unten, um zu versuchen, sie in ein Gespräch zu verwickeln – nur um festzustellen, dass die Jungen Freunde eingeladen hatten und Matya damit beschäftigt war, ihnen etwas zu essen zu machen. Es sah so aus, als würde sie für ein ganzes Restaurant kochen: eine gebackene Kartoffel

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