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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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auch noch etwas anderes als Holz – es war noch irgendeine Chemikalie dabei. Schmelzendes Plastik vielleicht. Mutter,Vater, mein Land, mein Exil, alles brach auf einmal über Quentina herein. Einen Moment lang konnte sie spüren, wie ihre Heimat sie umgab, die Wärme, die trockene Höhenluft ihrer Heimatstadt, die wunderbare Vertrautheit dieses Ortes, der ein Teil von ihr gewesen war, von dem ersten Moment an, an den sie sich erinnern konnte, bis hin zu dem Tag, an dem sie hatte gehen müssen. Sie blieb einen Augenblick stehen und schloss die Augen. Ihr Fitnesstraining konnte ein wenig warten. Der Rauch umfing sie wie ein Mantel.
    Als Quentina die Augen wieder öffnete, sah sie zwei Polizeibeamte am anderen Ende der Straße, die sich auf derselben Straßenseite befanden wie sie und in nicht besonders schnellem, aber auch nicht gerade langsamem Tempo auf sie zugingen. Ohne dass sie einen bewussten Gedanken gefasst hätte, drehte sich ihr der Magen um. Das lag einfach an ihren Lebensumständen: Polizisten machten sie nervös. Sie wollte nichts mit ihnen zu tun haben; es konnte einfach nichts Gutes dabei herauskommen. Ich werde mich unauffällig verdrücken. Sie drehte sich um und wollte gerade in die Lindon Road einbiegen, als sie einen elegant gekleideten jungen Mann Mitte zwanzig sah, der die Straße überquerte und genau in ihre Richtung kam. Quentina fragte sich gerade mit zunehmender Besorgnis, warum er ihr direkt ins Gesicht schaute, als ihr klar wurde, dass auch er ein Polizeibeamter sein musste. Sie dachte: Wechsle die Richtung! Lauf weg! Ihr Körper, der einen eigenen Willen zu haben und ganz unabhängig von ihr zu handeln schien, überquerte die Straße in einer von dem Polizisten in Zivil wegführenden Richtung, so dass sie sich nicht direkt begegnen würden, aber der Polizist wechselte sofort ebenfalls die Richtung und blieb ein paar Meter vor ihr stehen. Er hielt ihr ein Etui mit einer Dienstmarke ins Gesicht, lächelte verhalten und fragte mit leicht ironischem Tonfall: »Ms Kwama Lyons?«

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    Eigentlich war es aus Zbigniews Sicht idiotisch, die zusätzliche Arbeit bei den Younts anzunehmen. Er kam schon mit dem Haus Nummer 42 kaum klar. Dabei war es nicht etwa ein bestimmter Aspekt des Jobs, der ihn überfordert hätte, jedenfalls nicht, seit er die Sachen, die von Spezialisten gemacht werden mussten, an Männer aus Piotrs Arbeitstrupp weitergegeben hatte. Die Arbeit wurde einfach dadurch, dass er ganz allein für alles verantwortlich war, viel stressiger, als er gedacht hatte. Wenn etwas schiefging, gab es niemanden, auf den er die Sache abschieben konnte. Und die Tatsache, dass er auf einer halben Million Pfund saß, die in einem alten Koffer steckte und eigentlich jemand anderem gehörte, machte alles nur noch stressiger und unwirklicher. Es war eine sehr einsame und seltsame Situation, und dann hatte er auch noch fast einen schlimmen Unfall. Als er auf dem Treppenabsatz im zweiten Stock die Tapete abzogen hatte, musste er mit Entsetzen feststellen, dass sich Teile der Wand mit ablösten – riesige Gipsklumpen, von denen einer an die zehn Kilo wog und seinen Kopf beim Herabstürzen nur um wenige Zentimeter verfehlte.
    Es wäre ein ziemlich scheußlicher Tod gewesen: von einem Klumpen Gips erschlagen, in einem Haus, das er renovieren sollte. Man hätte seine Leiche erst nach Tagen gefunden, die Ratten hätten an ihm genagt, es wäre ein schreckliches Ende gewesen, und dann hätten sie die 500000 £ in Bargeld gefunden, und wer weiß, was sie dann von ihm gedacht hätten … Nachdem das Adrenalin, das die Beinahe-Katastrophe in ihm freigesetzt hatte, ein wenig verflogen war, wurde es Zbigniew ganz schlecht bei dem Gedanken, wie viel Zeit vergangen wäre, bis sie ihn gefunden hätten. Ja, wer hätte ihn denn überhaupt gefunden? Er arbeitete allein. Er lebte allein in diesem Haus. Er hatte keine Freundin. MrsLeatherby wohnte in Essex und kam nur alle paar Monate einmal nach London. Zbigniew rief sie jede Woche an, um ihr von seinen Fortschritten zu berichten – das gehörte zu seiner Es-anders-machen-als-die-britischen-Handwerker-Strategie –, und das Ausbleiben dieses Anrufs würde ihr wahrscheinlich auffallen, aber es würde mindestens eine Woche dauern, bevor sie anfing, sich Gedanken zu machen. Piotr hätte ihn auf dem Handy angerufen und keine Antwort bekommen, hätte dann ein, zwei Tage gewartet und es noch mal versucht, und dann hätte er sich allmählich Sorgen gemacht, wäre vielleicht zu

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