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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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einen Polizisten erkennen, haben für gewöhnlich einen Grund dafür. Aus dem Tonfall der Stimme am anderen Ende der Sprechanlage konnte Mill schließen, dass der Mann aus irgendeinem Grund nicht mit ihm sprechen wollte.
    »Mein Name ist Kriminalinspektor Mill. Ich bin auf der Suche nach Kwama Lyons. Es geht um eine Routinebefragung.«
    »Sie ist nicht hier.«
    »Aber das ist doch ihre Adresse, oder?«
    »Ja, das ist ihre Adresse.«
    »Würden Sie gerne meine Dienstmarke überprüfen, bevor wir weiterreden?«
    Der Mann am anderen Ende der Sprechanlage war gesetzlich keineswegs verpflichtet, ihn ins Haus zu lassen – und das wusste er vielleicht sogar. Aber er musste auch wissen, dass Mill nur noch misstrauischer werden würde, wenn er sich seltsam verhielt. Es gab wieder eine Pause, während der Mill geradezu hören konnte, wie der Mann seine Alternativen abwägte. Nach ungefähr zehn Sekunden sagte er:
    »Ich komme runter.«
    Mill hörte, wie jemand wuchtig stapfend die Treppe herunterkam. Ein gedrungener afrikanischer Mann Mitte dreißig mit blutunterlaufenen Augen, der erstaunlicherweise eine graue Strickjacke trug, öffnete die Tür. Mill stellte seinen Fuß in die Tür – ein guter Polizistentrick – und betrat das Haus, während er das Etui mit seiner Dienstmarke aufklappte. Der Mann lehnte sich vor, um die Marke besser sehen zu können, und kniff dabei die Augen zusammen. Mill korrigierte seine Alterseinschätzung ein wenig nach oben: so um die vierzig, vielleicht.
    »Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte der Mann förmlich.
    »Ich suche nach Kwama Lyons. Sie war nicht auf ihrer Arbeitsstelle, deshalb bin ich hierhergekommen. Es handelt sich um eine reine Routinebefragung.«
    »Sie ist nicht da.«
    »Darf ich fragen, wer Sie sind?«
    »Ich bin Kwame Lyons.«
    »Sind Sie miteinander verwandt?«
    Die Augen des Mannes flackerten kurz, bevor er »Ja« sagte. Mill hatte keine Ahnung, was er zu verbergen hatte, aber er log ganz offensichtlich über irgendetwas. Es war nur schwer vorstellbar, dass es sich dabei um W IR W OLLEN W AS I HR H ABT handelte, aber etwas roch faul. Mill mochte, ja, man konnte sogar sagen, liebte diesen Teil seines Jobs – der Teil, wo man merkte, dass die Dinge nicht so waren, wie sie zu sein schienen, und dass es etwas herauszufindengab. Zum ersten Mal während dieser Ermittlungen spürte er, wie er von einem Energieschub erfasst wurde.
    »Wann wäre denn ein guter Zeitpunkt, um Ms Lyons anzutreffen?«
    »Morgen.«
    »Hat sie ein Mobiltelefon?«
    »Ich sage ihr Bescheid«, antwortete der Mann und ging näher in Richtung Tür, während Mill nach wie vor halb im Flur stand. Es fiel ihm auf, dass das Haus in einzelne Mietwohnungen aufgeteilt war. Und dieser Mann hier war nicht der Eigentümer.
    »Ich komme wieder«, sagte Mill und machte einen Schritt rückwärts über die Türschwelle.
    Und er kam wieder. Aber als er am nächsten Tag klingelte, öffnete ein anderer Mann die Tür, ein Italiener mittleren Alters, der sich als der Hausbesitzer zu erkennen gab. Er erzählte Mill, dass der Mann, der sich Lyons nannte, gestern Abend ausgezogen sei und keine Nachsendeadresse hinterlassen habe, dass er die Miete immer bar und einen Monat im Voraus bezahlt und seit zwei Jahren dort gewohnt habe, dass er ein sehr ruhiger Mieter gewesen sei, und dass er sonst nichts weiter über ihn wisse, außer vielleicht, dass er sehr oft Besuch bekommen habe, der aber immer nur sehr kurz geblieben sei. Er habe keine Frau und keine weiblichen Verwandten. Es gab keine Kwama Lyons unter dieser Adresse.

73
    Es gab einiges, was Quentina am Dasein einer Politesse seltsam fand. Dazu gehörte zum Beispiel das Phänomen, dass sie, obwohl sie den ganzen Tag auf den Beinen war und unzählige Kilometer zurücklegte, nicht das kleinste bisschen abzunehmen schien. Sie erwähnte das eines Abends im Gespräch mit Mashinko, während sie nach einem Drink in der afrikanischen Bar in Stockwell auf dem Nachhauseweg waren. (Sie trennte sich immer schon an der Ecke ihrer Straße von Mashinko, weil sie nicht wollte, dass er das Wohnheim sah. Jedenfalls jetzt noch nicht. Er selbst wohnte bei seiner Mutter, weswegen sie auch dort nicht so leicht hingehen konnten. Die typischen Probleme und Hindernisse, die sich einer jungen Liebe in den Weg stellten.) Die Erwähnung dieses Themas war eigentlich schon fast ein Flirtversuch. Mashinko war ein sehr wohlerzogener christlicher junger Mann, keine Frage, auch wenn er durchaus Sinn für Humor

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