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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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Marketing«-Strategien. Man schickte eine zweite Karte hinterher und dann eine dritte, mit der man endlich die Absicht hinter der ganzen Sache bekanntgab. Irgendein halbkrimineller Immobilienmakler würde dann zugeben, dass er ihr Haus für sie verkaufen wolle. Arabella nahm die Kataloge und die Karte mit nach oben. Die Kataloge, um sie zu lesen, und die Karte, um sie für den Tag aufzuheben, irgendwann in der Zukunft, an dem sie sich entschließen würden, zu verkaufen und in ein größeres Haus zu ziehen.

7
    Es war zehn Uhr, und Shahid stapelte gerade einen Packen nicht verkaufter Männermagazine hinter dem Ladentisch, damit sie an den Großhändler zurückgehen konnten, als die einzige Kundin im Geschäft ohnmächtig wurde. Es war eine kleine alte Dame, die eben erst hereingekommen war und sich vor den Kühlschrank mit den Milchprodukten gestellt hatte. Oder jedenfalls hatte sie dort noch vor einem Augenblick gestanden. Im nächsten Moment gab es ein dumpfes Poltern, und sie fiel einfach seitwärts zu Boden. Es war kein lautes Geräusch, aber ein sehr unnatürliches – das unverkennbare Geräusch von jemandem, der hinfällt. Er hob die Klappe im Ladentisch hoch und rannte zu ihr hinüber. Ahmed, der in der Küche gerade mit Papierkram beschäftigt war, kam ebenfalls nach vorne gelaufen.
    Die alte Dame bewegte sich schon wieder etwas, sie konnte nicht lange ohnmächtig gewesen sein. Vielleicht hatte sie auch gar nicht erst das Bewusstsein verloren. Shahid glaubte nicht, sie vorher schon einmal gesehen zu haben. Aber wie alle jungen Männer war er nicht besonders aufmerksam, was alte Menschen anbetraf – in seinen Augen sahen alle über sechzig gleich aus. Ahmed schien sie jedoch zu kennen, denn als er sich bückte, um ihr zu helfen, sagte er: »Mrs Howe!«
    »Es ist alles in Ordnung«, sagte die alte Dame, klang dabei aber keineswegs überzeugend. Sie machte es wie die meisten Leute, die einen Unfall hatten – sie tat so, als sei nichts passiert und als ginge es ihr wunderbar. »Machen Sie sich keine Mühe. Mir war nur einen Moment lang schwindelig. Jetzt geht’s mir wieder gut. Könnte gar nicht besser sein!«
    »Lassen Sie sich Zeit«, sagte Ahmed. »Bleiben Sie einen Moment sitzen.« Er hockte sich neben sie und legte den Arm um ihre Schulter,schien sich aber bei dieser Intimität ein wenig unbehaglich zu fühlen. Shahid ging wieder hinter den Ladentisch zurück. Auf dem Monitor der Überwachungskamera, der unterhalb der Kasse angebracht war, sahen Ahmed und Mrs Howe sehr seltsam aus, wie in einer Szene aus Crimewatch : Der pakistanische Mann saß zusammengekauert neben der weißen alten Frau, und keiner von beiden bewegte sich. In einem Film wäre einem diese Szene schnell langweilig geworden. Während der nächsten Viertelstunde saß Ahmed da und unterhielt sich mit der alten Dame, während Shahid drei Kunden bediente. Einer kaufte den Daily Mirror , ein zweiter lud seinen Fahrkartenchip auf, und der dritte wollte fünf Rubbellose. Es war eine seltsam stille Viertelstunde – Shahid machte einfach weiter, als sei nichts geschehen, und Ahmed hockte neben der kranken Frau wie ein Sanitäter. Ahmed war in mancher Hinsicht ein aufgeblasener Schwachkopf, aber Shahid musste zugeben, dass er auch gute Seiten hatte, wie diese hier zum Beispiel. Er wusste, wer die Frau war, und behandelte sie nicht wie ein lästiges Ärgernis, das man so schnell wie möglich aus dem Weg schaffen musste.
    »Ich begleite Mrs Howe nach Hause«, sagte Ahmed und kam hinter den Ladentisch, um seine Jacke zu holen. »Sie wohnt gleich um die Ecke. Bin in fünf Minuten zurück.«
    »Ich halte die Stellung«, sagte Shahid und salutierte. Ahmed schien das nicht lustig zu finden.
    Er reichte Mrs Howe seinen Arm und half ihr, vom Boden aufzustehen. Alte Leute hatten nicht umsonst Angst davor hinzufallen. Sein erster Gedanke war, als er sah, dass sie gestürzt war, dass sie sich etwas gebrochen hatte, ein Bein, oder die Hüfte, was in diesem Alter der Anfang vom Ende sein konnte. Aber sie schien zumindest körperlich unversehrt zu sein. Ahmed hob ihre Tasche auf, und die beiden gingen in Richtung Tür, während Mrs Howe sich immer noch an seinen Arm klammerte. Ahmed wusste, dass Mrs Howe in der Pepys Road wohnte, aber nicht, in welchem Haus.
    »Ich wohne ungefähr in der Mitte der Straße«, sagte Petunia. Es waren ein paar hundert Meter. Bei dem Tempo, das sie gerade vorlegten, würde das eine Weile dauern. »Ich bin Ihnen von Herzen dankbar.

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