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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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betranken, hieß das noch lange nicht, dass es sich nicht doch um Webdesigner, Sekretärinnen, Krankenschwestern, Softwarespezialisten oder Chefköche handelte. Das gehörte zu den Regeln Londons: Jeder konnte alles Mögliche sein.
    Mitten am Tag und mitten in der Woche war der Park von einer gänzlich anderen Klientel bevölkert. Eher Angehörige der Unterschicht. Auf einer Parkbank saßen vier Obdachlose und tranken Bier. Eine Frau, die genauso runtergekommen aussah wie sie, hielt ihnen wegen irgendetwas eine Moralpredigt. Sie nickten, stimmten ihr zu, nahmen Anteil an ihrem Schmerz und schienen gleichzeitig jeglichen Schmerz weit hinter sich gelassen zu haben.
    Drei schulschwänzende Teenager übten auf dem Bürgersteig und auf der Straße ihre Skateboardkünste. Sie glaubten wohl, wenn sie nur genug Energie darauf verwandten, den Verkehr zu ignorieren, dann würde der schon von ganz allein verschwinden. Roger dachte kurz darüber nach, ob er zu ihnen »Ich hoffe, ihr habt eure Organspenderausweise ausgefüllt, Jungs« sagen sollte – aber dann ließ er es doch lieber sein. Sie waren immerhin zu dritt. Ein paar Meter weiter stand ein schlechtgelaunter Skinhead, der ungefähr Ende dreißig war und es also hätte besser wissen müssen, neben seinem Pitbullterrier und schaute dem Tier dabei zu, wie es mitten auf den Weg kackte. Dabei starrte er seine Umgebung an, als wollte er sagen: Wagt es nur, euch zu beschweren. Auf einem Sportplatz spielten zwei weitere schulschwänzende Teenager Basketball, und hinter ihnen waren die Skateboardfahrer, die sich tatsächlich die Mühe machten, auch den Skateboardpark zu benutzen, damit beschäftigt, ihre Kunststücke zu üben. Roger war in seiner Jugend auch ein bisschen Skateboard gefahren. Damals war es jedoch viel mehr darum gegangen, was man mit dem Ding machen konnte, während die Räder auf der Erde waren. Heutzutage schien es nur noch darum zu gehen, mit dem Board so viel wie möglich durch die Luft zu fliegen oder mit dem Skateboard über die Kante der Rampe zu rutschen oder das Ding mit der Hand zu fassen, während man sich mitten in der Luft befand. Ein Mann mit einem roten Kopftuch fuhr die Rampe hinauf, flog durch die Luft, griff sich das Skateboard, landete dann jedoch auf dem Rand der Rampe, so dass er rückwärts auf den Holzboden stürzte. Einigeder anderen Skateboardfahrer applaudierten – Roger nahm an, dass sie das ironisch meinten.
    Eigentlich war Arabellas Frage gar nicht so falsch gewesen. Was sollen wir bloß tun? Was soll ich bloß tun?
    Neben dem Ententeich stand ein Eiswagen, und Roger fand, dass ein großes Eis, ein richtig kindisches Eis, mit zwei Kugeln Vanille und zwei hineingesteckten Schokoriegeln, die ideale Methode wäre, um seine funkelnagelneue Unabhängigkeit/Arbeitslosigkeit/Schmach zu feiern. Aber als er in seinen Taschen kramte, musste er feststellen, dass er kein Geld dabeihatte: Er hatte sein Bargeld in der Jacke gelassen. Er war ein Mann, der in Nadelstreifenhosen, einem Bankerhemd, einer Krawatte und ohne einen einzigen Penny durch den Park lief.
    Der Himmel begann, seine Schleusen zu öffnen. Es war höchste Zeit, sich auf den Heimweg zu machen, bevor er vollkommen durchnässt war. Roger machte kehrt und beschleunigte sein Tempo. Er musste es nach Hause schaffen, bevor das Gewitter losging, das von Westen her mit dunklen, regenschweren Wolken heranzog. Andere Leute hatten denselben Gedanken wie er – der Park wirkte, als wäre er der Schauplatz einer spontanen Evakuierung geworden. Als Roger wieder an dem Skateboardpark vorbeilief, waren schon alle verschwunden. Der Regen kam plötzlich senkrecht von oben herab und wurde sehr heftig. Roger erkannte, dass er es nicht nach Hause schaffen würde, ohne klitschnass zu werden, also machte er einen Schlenker zur Seite, zu den Geschäften, die den Parkrand säumten, und stellte sich dort unter eine Markise. Er war nicht der Einzige, der diese Idee gehabt hatte. Unter jeder Markise drängte sich ein kleiner Haufen von Menschen zusammen. Direkt neben ihm benutzte ein Grufti-Paar die Gelegenheit zum Knutschen. Und neben ihnen war eine verärgert aussehende, in einen Salwar Kameez gekleidete indische Frau damit beschäftigt, einen hoffnungslosen Kampf mit einem aufklappbaren Regenschirm auszufechten, der sich jedoch partout nicht aufklappen ließ. Sie drückte immer wieder das obere Ende zurück inden Griff, um so den Mechanismus auszulösen, aber sie hatte den Dreh mit dem Handgelenk nicht

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