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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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raus, mit dem sie das Ganze zum Aufschnappen bringen konnte. Roger erbarmte sich ihrer.
    »Darf ich?«, fragte er. Sie reichte ihm den Regenschirm, und Roger öffnete ihn für sie. In diesem Moment begann der Regen nachzulassen.
    »Die sind nicht leicht zu bedienen«, sagte Roger, während er ihr den Schirm zurückgab.
    »Es sind komplette Fehlkonstruktionen«, sagte Mrs Kamal. »Aber trotzdem vielen Dank.« Und dann ging sie hinaus in den Regen. Es sah nicht so aus, als würde der noch sehr viel mehr nachlassen. Also beschloss Roger, sich ins Geschehen zu stürzen. Er krümmte die Schultern und bereite sich darauf vor, loszulaufen, doch gerade als er starten wollte, fiel sein Blick auf eine Werbetafel des Evening Standard . Für einen Moment setzte sein Herz aus. Die Schlagzeile lautete:
    »Bank in der Krise!«
    Und Roger dachte: O lieber Gott, nein. Doch als er ein Exemplar der Zeitung nahm und näher hinschaute, hörte sein Herz auf zu rasen: Es ging nicht um den Skandal bei Pinker Lloyd, sondern um Lehman Brothers. Im Untertitel stand: »US-Gigant am Rand des Kollaps«. Die auf der Titelseite erwähnten Details waren absolut fantastisch. Im Wesentlichen stand dort zu lesen, dass die Vermögenswerte von Lehman Brothers mit einem Schlag jeglichen Wert verloren hatten und dass sich niemand bereit erklärt hatte, die Bank zu kaufen oder ihr aus der Patsche zu helfen, weswegen sie nun untergehen würde. Roger legte die Zeitung zurück auf den Stapel und lächelte. Dann trabte er gemächlich nach Hause. Es war schön zu wissen, dass er nicht der Einzige war, der gerade einen superbeschissenen Tag hatte.

86
    Es war Shahid aufgefallen, dass die Polizei verschiedenste Methoden anwandte, um seine Vernehmung zu beginnen. Manchmal warteten sie bereits auf ihn, wenn er in das Vernehmungszimmer kam, manchmal ließen sie ihn dort warten, bevor sie selbst den Raum betraten, manchmal kamen sie auch herein und saßen eine Weile nur da und sahen ihre Notizen durch und manchmal schnauzten sie ihn mit Fragen an, kaum dass er durch die Tür gekommen war. Sie waren abwechselnd freundlich und unfreundlich, suggerierten ihm entweder, er müsse sich Mühe geben, um sie zufriedenzustellen, oder gaben ihm zu verstehen, dass sie in Bezug auf ihn schon lange jegliche Hoffnung aufgegeben hatten. Er nahm an, dass das alles nur ein Spiel für sie war, dass sie ein paar Tricks an ihm ausprobierten, und versuchte deshalb, den unvermeidlichen Gefühlsaufruhr, den dieses Verfahren in ihm auslöste, so gut es ging zu ignorieren. Oft fragte er sich auch, wer wohl auf der anderen Seite der verspiegelten Wand des Vernehmungszimmers sitzen mochte und was man dort für Kommentare zu dem Ganzen abgab.
    An seinem vierzehnten Tag in Haft sah er sich beim Betreten des Zimmers einem fremden Polizisten gegenüber, einem, den er noch nie gesehen hatte. Oder vielleicht doch? Er gehörte nicht zu den gewohnten Vernehmungsbeamten und doch kam er ihm irgendwie bekannt vor. Er war jung, jünger als Shahid, mit einem unverbrauchten Gesicht und schmalen Schultern, und trug einen eleganten Anzug. Er war allein, was nicht der üblichen Vorgehensweise der Polizei entsprach.
    »Hallo«, sagte Mill. »Ich bin Kriminalinspektor Mill.«
    Jetzt erinnerte sich Shahid wieder.
    »Sie waren auf dieser Versammlung, die, bei der es um diese unheimlicheWebsite und die Karten und den ganzen Kram ging«, sagte Shahid. »Da war ich auch.«
    »Ich weiß«, sagte Mill. Er senkte den Blick auf die vor ihm liegende Akte und gab sich den Anschein, als würde er darin lesen – ein Polizistentrick, an den Shahid sich mittlerweile gewöhnt hatte. Die Stille dehnte sich.
    »Sie haben das Aufnahmegerät nicht eingeschaltet«, sagte Shahid.
    Mill gab ihm keine Antwort. Er machte ganz den Anschein, als dächte er an etwas anderes. Schließlich sagte er:
    »Von meinen Freunden versteht kaum einer, warum ich Polizist werden wollte. Sie denken, alles was die Polizei tut, ist, durch die Gegend zu ziehen, Leuten eins über den Schädel zu geben und besoffene Autofahrer zu verhaften. Oder so was in der Art. Sie wissen eigentlich gar nicht mal genau, was sie denken, außer dass sie dagegen sind. Aber das eigentliche Problem an diesem Job hat nichts mit all der Gewalt zu tun, oder dass es kompliziert wäre, oder damit, wie die anderen Polizisten so sind. Das eigentliche Problem ist die ganze Routine. Diese elende Plackerei. Das meiste an diesem Job ist Routine, und die Arbeit der Kriminalpolizei ist da

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