Kapital: Roman (German Edition)
wird.«
»Vandalismus?«
»Ja. Das war, als dieser Schlauberger die Straße entlanggelaufen ist und mit seinem Schlüssel alle dort parkenden Autos zerkratzt hat, erst alle auf der einen Seite und dann den ganzen Weg zurück auch auf der anderen Seite. Das ist ziemlich viel Sachbeschädigungin einer Straße voll von teuren Autos. So an die zehntausend, würde ich sagen. Das allein reicht schon für eine Freiheitsstrafe.«
Shahid zuckte mit den Schultern. Die Tatsache, dass ein paar SUVs lädiert worden waren, schien ihn nicht sonderlich zu bekümmern. Mill fuhr fort:
»Und dann gibt es noch einen Punkt: Grausamkeit gegen Tiere. Tote Vögel. Jemand hat sie an die Anwohner in der Straße geschickt. Amseln. Nicht an alle Häuser, nur an einige wenige. In DIN-A5-Umschlägen. Ziemlich geschmacklos, wenn Sie mich fragen. Wissen Sie da irgendetwas drüber?«
»Das ist ekelhaft. Aber ich habe damit nichts zu tun.«
Was Mill nicht erwähnt hatte, war, dass die toten Vögel erst innerhalb der letzten zwei Wochen aufgetaucht waren – also zu einer Zeit, als sich Shahid bereits in Paddington Green in Haft befunden hatte. Der Zusammenhang zwischen W IR W OLLEN W AS I HR H ABT und Shahids Internetverbindung war vor zwei Tagen entdeckt worden, nach dem letzten Schwung von Aktivitäten. Zu dem Zeitpunkt, als ihnen die Verbindung zu Shahid bekannt geworden war, wussten sie bereits, dass er auf keinen Fall für die Dinge verantwortlich sein konnte, die im Augenblick vor sich gingen; es war allenfalls möglich, dass er mit jemandem zusammenarbeitete. Aber die Geschichte mit der Webseite war nach einem sehr seltsamen Muster verlaufen. Zu Beginn waren es Fotos von den Häusern gewesen, die jemand gemacht hatte, der eng mit der Straße in Beziehung stand. Zu dem Schluss war Mill schon vor langer Zeit gekommen. Dann war der Blog für eine Weile verschwunden, um schließlich wieder zurückzukehren, nur diesmal sehr viel düsterer als vorher, mit beleidigenden Bildüberschriften auf der Webseite, verunglimpfenden Postkarten, die an die Anwohner geschickt wurden, Graffiti in der Straße, zerkratzten Autos. Und jetzt waren auch noch tote Amseln mit der Post versandt worden, an sieben unterschiedliche Empfänger. Die Sache machte nun einen viel zornigeren Eindruck. Es war rätselhaft, wie sehr sich Ton und Verhalten des Täters verändert hatten.
Shahids Blick huschte hin und her. Er dachte angestrengt nach.
»Ich weiß nichts von dieser Sache«, sagte er schließlich. »Versuchen Sie es mal bei diesem Belgier, falls Sie ihn finden können.«
»Das hat alles angefangen, bevor er zu Ihnen gezogen ist. Haben Sie zu irgendeinem Zeitpunkt in den vergangenen Monaten die Verschlüsselung für Ihren WLAN-Zugang geändert?«
»Nein«, sagte Shahid ohne nachzudenken – bevor ihm klar wurde, dass er gerade auf einen Trick hereingefallen war und eine mögliche Verteidigungslinie aufgegeben hatte. Wäre sein Internetzugang nämlich ungeschützt gewesen, dann hätte auch jeder andere für den fraglichen Verkehr verantwortlich sein können. Er seufzte. »Der Zugang ist verschlüsselt, und ich bin der Einzige, der das Passwort kennt. Wie Sie ja wissen, habe ich es dem Belgier erlaubt, meinen Internetzugang zu benutzen, aber nicht meinen Computer.«
»Sie werden verstehen, dass uns das verdächtig vorkommt. Sie wurden unter Terrorverdacht in Haft genommen, und jetzt sieht es ganz so aus, als hätten Sie alle möglichen Beschimpfungen ins Netz gestellt, Ihre Nachbarn bedroht und sie zu Tode erschreckt. Das macht nicht gerade einen guten Eindruck, finden Sie nicht?«
»Ich gewöhne mich langsam daran, dass man mich beschuldigt, etwas getan zu haben, wofür ich nicht verantwortlich bin«, sagte Shahid. »Ich habe keinen Grund, Ihnen zu glauben.« Er verschränkte die Arme und schaute auf die verspiegelte Glaswand. Wieder einmal fragte er sich, wer wohl auf der anderen Seite sitzen mochte und was diese Person jetzt gerade dachte.
»Aber wer hat es dann getan?«
»Keine Ahnung«, sagte Shahid. Aber zum ersten Mal während dieser Vernehmung hatte Mill das Gefühl, dass er nicht die ganze Wahrheit sagte.
87
Das Londoner Zentrum für Asyl- und Einwanderungsverfahren, wo über den Einwanderungsstatus von Asylbewerbern im Vereinigten Königreich entschieden wurde, befand sich in der Nähe der Chancery Lane. Die Anhörungen fanden in einem Gebäude mit Gerichtssälen statt. Dort hatten die Richter auch ihre Büros und holten sich einmal wöchentlich
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