Kapital: Roman (German Edition)
ging, ja gar nicht um die üblichen Wirren und Streitigkeiten einer normalen Ehe, in Kombination mit zu viel Arbeit und den Strapazen einer Stadt wie London. Vielleicht war es etwas ganz anderes, viel Einfacheres: dass Arabella alles, egal was passierte, nur noch schlimmer machte. Was kann man gar nicht gebrauchen, wenn man gerade – vollkommen aus heiterem Himmel – seinen Job verloren hat? Was ist wirklich und buchstäblich das Allerletzte, was man dann gebrauchen kann? Eine Ehefrau, die sich vor fassungslosem Kummer in hilflosen Krämpfen windet. Das gibt einem definitiv den Rest.
Arabella wiegte sich verzweifelt vor und zurück.
»Was sollen wir bloß tun, was sollen wir bloß tun, was sollen wir bloß tun?«
»Ich weiß es nicht. Wo sind die Kinder?«
»Was sollen wir bloß tun? Ich weiß es nicht. Woher soll ich das wissen? Draußen irgendwo. Mit Matya. Was sollen wir bloß tun?«
»Nun, als Erstes müssen wir an allen Ecken und Enden sparen. Überall«, sagte Roger. »Kein Geld, das für den Unterhalt der Kinder gedacht ist, darf mehr für Kleider ausgegeben werden« – denn das war genau das, was mit diesen 1500 £ im Jahr passierte. Sie hatte keine Ahnung, dass ihm das bekannt war. Ha! Da hast du’s! Fick dich ins Knie! Arabella blinzelte. Er hatte sie an einem wunden Punkt getroffen! Jawohl! Geschieht dir recht!
»Mitgliedschaft im Fitnessstudio … zum Mittagessen ausgehen … all das muss jetzt aufhören.«
Arabella wiegte sich weiter vor und zurück.
Ach, zum Teufel mit dem ganzen Scheiß. Roger brauchte dringend frische Luft. Er drehte sich um und ging zur Tür hinaus. Dabei dachte er: Ich weiß, was ich tun werde. Ich mache einen Spaziergang. In den fünf Jahren, die er nun schon in der Pepys Road wohnte, hatte er das mitten in der Woche noch nie getan, kein einziges Mal. Er war immer nur arbeiten gewesen, und während der Ferien hatten sie sich jedes Mal an irgendeinem teuren anderen Ort aufgehalten.
Roger verließ das Haus und ging die Straße hinunter. Er wich einem Ocado-Lieferwagen aus, der rückwärts in eine Parklücke setzte, und musste dann stehen bleiben, um einem Hundesitter Gelegenheit zu geben, eine hoffnungslos verhedderte Leine zu entwirren. Am anderen Ende der Leine saß ein großer, dicker Pudel unbeweglich auf dem Gehsteig und sah so aus, als wäre er in Streik getreten. Die Sache wurde auch dadurch nicht unbedingt erleichtert, dass der Hundesitter gleichzeitig mit einer Hand versuchte, eine Textnachricht zu verschicken. Ein Stück weiter die Straße hinunter konnte Roger Bogdan, den Handwerker, sehen,den Polen, den Arabella manchmal für kleinere Arbeiten engagierte. Er warf gerade etwas Bauschutt in einen Container. Dann bemerkte er Roger, und die beiden Männer nickten sich zu. Vielleicht könnte ich ja Handwerker werden, dachte Roger. Eine körperliche Tätigkeit. Das würde gut zu mir passen. Ich habe schon immer gerne selbst Hand angelegt, damals, als ich noch Zeit dafür hatte. Die Energie habe ich noch und auch den Körperbau und die nötige Power. Noch bin ich nicht weg vom Fenster …
Er bog um die Ecke und ging weiter in Richtung Park. Auch das hatte er bisher nur auf dem Weg zur oder von der Arbeit getan oder wenn er die Jungs an den Wochenenden im Kinderwagen durch die Gegend schob. Bei diesen Gelegenheiten bekam man auch zahlreiche andere Banker zu Gesicht, alle in ihren unterschiedlichen Bankeruniformen, mit so großen und unhandlichen Kinderwagen, dass man meinen könnte, es handele sich dabei um Kleinkind-SUVs. An den Wochenenden krochen sie überall aus ihren Löchern, die Eurobanker mit ihren über die Schultern gehängten Pullovern, die schnuckeligen Ehefrauen mit ihren Mobiltelefonen am Ohr, die Söldner der englischen Fitnessarmee, die ihre idiotischen Kunden anbrüllten und es dabei gar nicht fassen konnten, dass sie noch dafür bezahlt wurden, Leute wegen ein paar Sit-ups anzuschreien. An sonnigen Tagen zog eine große Anzahl junger Leute so viele Kleidungsstücke aus, wie man nur ablegen konnte, ohne gegen das Gesetz zu verstoßen, fläzten sich der Länge nach auf den Rasen und tranken Alkohol. Die einfachen Freuden sind doch immer noch die besten. Aber diesen Sommer hatte es das viel weniger gegeben als sonst, was man daran erkennen konnte, dass das Gras noch ziemlich grün war. Die Leute auf dem Rasen sahen aus, als seien sie Halbstarke oder Proleten, aber Roger wusste, dass der Schein trügen kann. Nur weil sie halbnackt waren und sich
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