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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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wusste, dass es passieren würde. Er war Pole, und sein wirkliches Leben würde er in Polen führen.
    Arabella wäre enttäuscht gewesen, wenn sie gewusst hätte, was Bogdan von ihr dachte, denn in Wahrheit war das nicht sehr viel. Er hatte keinen schlechten Eindruck von ihr, aber auch keinen guten; er war weder scharf auf sie, noch war sie ihm unsympathisch, er interessierte sich einfach nicht für sie und hatte auch keinerlei andere Gefühle, die mit ihr zu tun hatten. Sie war eine Kundin, das war alles. Zbigniew dachte über alle seine Kunden dasselbe: Sie waren Leute, die ihn bezahlten und bestimmte Erwartungen hatten, die er zu erfüllen versuchte. Nicht mehr und nicht weniger.
    Was ihren Reichtum anbetraf – Arabellas Reichtum und den seiner anderen Kunden –, so dachte er nicht lang darüber nach, auch wenn er ihn sehr wohl bemerkte. Jemand, der wie er in einem Wohnsilo am Rande Warschaus aufgewachsen war, konnte es kaum vermeiden, dass ihm die Arbeitsflächen aus Marmor ins Auge stachen, oder die teuren Teakmöbel, die Teppiche und Kleider, der ganze Technikkram und all die anderen alltäglichen Extravaganzen, die überall in dieser Stadt zur Normalität gehörten. Was ihm darüber hinaus auffiel, waren die Kosten, die grotesken Preise, die man für fast alles bezahlen musste, angefangen beim Wohnen über die öffentlichen Verkehrsmittel und das Essen bis hin zu Kleidern; und was das Ausgehen anbetraf, wenn man ein bisschen Spaß haben wollte, das war nahezu unmöglich. Zbigniew fand es deprimierend, wie schnell ihm das Geld durch die Finger rann, nur wegen ganz alltäglicher Dinge. Aber auf gewisseWeise war das ja der Grund, warum er hier war: Alles war so teuer, weil die Engländer eben viel Geld hatten. Und er war hier, um seinen Teil davon zu verdienen. Zbigniew fand, dass etwas von Grund auf nicht stimmte mit diesem Land. Es gab all diese Arbeit und all dieses Geld, das übrig blieb und nur darauf wartete, dass jemand kam und es einkassierte, fast so, als läge es auf der Straße. Aber das war nicht sein Problem. Wenn die Engländer Arbeit und Geld zu verschenken hatten, dann sollte ihm das nur recht sein.
    Sein Handy klingelte. Es war Piotr.
    »Du bist heute Abend dran mit Kochen«, sagte Piotr auf Polnisch. »Ich habe im Laden ein paar Kielbasa gekauft, die sind im Kühlschrank. Iss sie nicht alle auf, bevor ich nach Hause komme, okay?«
    Zbigniew, Piotr und vier andere Freunde teilten sich eine Zweizimmerwohnung in Croydon. Sie wohnten dort zur Untermiete bei einem Italiener, der das Apartment von einem Engländer gemietet hatte, der es wiederum als Sozialwohnung von der Stadt gemietet hatte. Die Miete betrug 200 £ in der Woche. Sie mussten höllisch aufpassen, dass sie nicht zu viel Krach machten, denn wenn die anderen Bewohner sie anzeigten, würde man sie rausschmeißen. Aber weil sie höflich waren und gut aussahen, waren die jungen Polen sehr beliebt bei den anderen Bewohnern, von denen die meisten weiße, alte Leute waren und, wie einer von ihnen einmal im Flur zu Zbigniew gesagt hatte, dankbar, »dass ihr keine Pakis seid«.
    »Du triffst dich mit Dana«, sagte Zbigniew. Dana war Piotrs neueste potentielle Flamme, ein tschechisches Mädchen, das er in der Kneipe kennengelernt hatte. »Wenn du um zehn nicht zu Hause bist, gibt’s keine Kielbasa mehr.«
    »Wenn ich um zehn nicht zu Hause bin …«, sagte Piotr.
    » Czekaj, tatka, latka «, sagte Zbigniew. Da kannst du warten, bis die Kühe von allein nach Hause kommen. Er lachte. Er kannte Piotr, seit sie beide kleine Kinder waren. Sein Freund war hoffnungslosromantisch und machte andauernd den Fehler, sich in Frauen zu verlieben, mit denen er noch nicht einmal geschlafen hatte. Zbigniew konnte sich zugutehalten, dass er diesen Fehler bisher vermieden hatte.
    Jetzt musste er auf die U-Bahn warten. Auf der Anzeigetafel stand, dass die nächste in fünf Minuten kommen würde, aber das musste nichts heißen. Das hatten London und Warschau gemeinsam: die Probleme, die es andauernd im öffentlichen Nahverkehr gab, und der mürrische Stoizismus der Leute, die ihn benutzten. Seine Mitbewohner waren heute alle bei demselben Job gewesen und kamen in Piotrs lädiertem Fort Transit nach Hause, den er für einen Spottpreis erstanden und mehr schlecht als recht wieder in Ordnung gebracht hatte. Zbigniew hasste es, damit zu fahren, denn man konnte nie sicher sein, dass man auch wirklich ankam, wo man hinwollte. Er zog es vor, die Dinge unter Kontrolle zu

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