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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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kann. An diesem Tag aber war das Wetter hell, klar und frisch gewesen, und noch Monate später musste Petunia immer wieder daran denken.
    Ein Lastwagen kam die Straße entlanggefahren, wurde langsamer und hielt vor ihrem Haus. Der Dieselmotor war so laut, dass er die Fenster zum Klirren brachte. Vielleicht war das endlich ihre Lieferung? Aber dann legte der Lastwagen einen anderen Gang ein und verschwand die Straße hinunter, wobei er mit zweimaligem lauten Gepolter – einmal hoch, einmal runter – über die Straßenschwellen fuhr. Die hatten eigentlich dazu dienen sollen, den Verkehr in der Straße zu reduzieren, aber ihr einziger Erfolg schien zu sein, dass es noch mehr Krach gab, und auch mehr Abgase, denn die Autos wurden vor den Schwellen langsamer und beschleunigten danach umso mehr. Seit man sie eingebaut hatte, war kein einziger Tag vergangen, an dem Albert sich nicht über sie beschwert hätte: buchstäblich kein einziger, von dem Tag an,als die Straße wieder für den Verkehr geöffnet wurde, bis zu dem Tag, an dem er ganz plötzlich starb.
    Petunia hörte, wie der Lastwagen weiter unten in der Straße hielt. Eine Lieferung – wohl keine Lebensmittel, und auch nicht für sie. Das war etwas, das ihr in diesen Tagen hauptsächlich an der Straße auffiel: die Lieferungen. Sie wurden immer mehr, während die Straße immer vornehmer wurde. Und hier war sie nun und wartete selbst auf eine Lieferung. Es hatte mal einen Begriff dafür gegeben: das »Fuhrkutschergewerbe«. Sie erinnerte sich, dass ihre Mutter davon gesprochen hatte. Irgendwie dachte man dabei an Männer mit Zylinderhüten und an Pferdegespanne. Jetzt gehöre ich auch zum Fuhrkutschergewerbe, dachte Petunia. Und das in meinem Alter. Bei dem Gedanken musste sie lächeln. Die Lieferung, das waren ihre Lebensmittel, und das Ganze war eine Idee ihrer Tochter Mary gewesen, die in Essex wohnte. Petunia hatte in letzter Zeit Schwierigkeiten mit dem Einkaufen gehabt, keine großen Probleme, aber genug, um ein wenig ängstlich zu werden auf dem Weg zur Hauptstraße und zurück, vor allem, wenn sie etwas mehr zu tragen hatte. Also hatte Mary einen Lieferservice für sie organisiert. Einmal in der Woche sollten alle großen und sperrigen Einkäufe direkt ins Haus geliefert werden, und zwar immer mittwochs zwischen zehn und zwölf. Petunia hätte es natürlich viel lieber gehabt, wenn Mary oder Marys Sohns Graham, der in London wohnte, selbst zu ihr gekommen wäre. Dann hätten sie zusammen einkaufen gehen können, aber davon war nie die Rede gewesen.
    Jetzt hörte sie wieder einen Lastwagen, diesmal war es ein noch lauteres Poltern. Er fuhr vorbei, aber nicht weit, und sie hörte, wie er ein paar Meter die Straße hinunter parkte. Durch das Fenster sah sie das Firmenzeichen: Tesco! Ein Mann, der eine große Kiste trug, kam zu ihrem Vorgarten und öffnete die Gartentür geschickt mit der Hüfte. Petunia stand auf, sich vorsichtig mit beiden Armen abstützend, und hielt einen Moment lang inne, um sich zu sammeln. Dann öffnete sie die Haustür.
    »Guten Morgen! Alles okay bei Ihnen? Es ist alles so, wie Sie’s bestellt haben. Soll ich es nach hinten bringen? Draußen verteilt jemand Knöllchen, aber ich habe ihm gesagt, er soll das mal schön bleiben lassen.«
    Der nette Tesco-Mann trug ihre Einkäufe bis in die Küche und stellte die Sachen auf den Tisch. Mit zunehmendem Alter fiel es Petunia immer mehr auf, wenn andere Leute ihre Kraft und Gesundheit demonstrierten, als wäre es nichts Besonderes. So wie jetzt dieser junge Mann, der mit solcher Leichtigkeit die schwere Kiste auf den Tisch hievte und dann jeweils vier Tüten auf einmal herausnahm. Seine Schultern und Arme wurden noch breiter, während er die Tüten hochhob. Er sah dabei riesengroß aus, wie ein Eisbär beim Bodybuilding.
    Petunia war es normalerweise nicht peinlich, wenn ihre Sachen ein wenig alt wirkten, aber wegen ihrer Küche schämte sie sich schon ein bisschen. Wenn Linoleum einmal anfing, schäbig auszusehen, dann aber auch so richtig, selbst wenn es sauber war. Aber dem Tesco-Mann schien das nicht weiter aufzufallen. Er war sehr höflich. Wenn er die Sorte Angestellter gewesen wäre, denen man ein Trinkgeld gibt, dann hätte Petunia ihm ordentlich was zugesteckt, aber als Mary den Lieferservice beauftragt hatte, hatte sie ihr extra gesagt, dass man Supermarktlieferanten kein Trinkgeld gibt. Sie hatte dabei ziemlich genervt geklungen, so als würde sie ihre Mutter gut genug kennen, um

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