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Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
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veränderte die Position seiner Beine, so dass sie aus dem Wagen hingen. Dann lud ich Clive auf meine Schulter, verlagerte mein Gewicht auf die Füße und drückte mich aus der Hocke hoch, Oberschenkel angespannt, den Rücken kerzengerade.
    Jillian ging voran, Richtung Haus. »Wir bringen ihn gleich in sein Schlafzimmer«, sagte sie. »Es ist im zweiten Stock. Keine Bange, wir haben einen Fahrstuhl.«
    Vom Haus bekam ich nicht allzu viel mit. Ich hielt meinen Blick auf den Boden gerichtet. Nur ein Stolpern und ich hätte Clive nicht mehr auf die Schulter bekommen. Ich sah Perserteppiche, eine Menge davon, dann den Boden des Fahrstuhls. Oben angekommen, ging es über noch mehr Perserteppiche in Clives Schlafzimmer.
    Nachdem ich ihn auf sein Himmelbett hatte fallen lassen, fühlte ich mich irgendwie schwerelos. Ich hatte das Gefühl, gen Decke schweben zu können wie ein Luftballon. Um mein Gleichgewicht zu halten, griff ich nach Jillians Schulter. Damit hatte Jillian nicht gerechnet. Ihre Knie gaben nach und sie geriet ins Schwanken.
    »Entschuldigung«, sagte ich, »aber ich war gerade etwas unsicher auf den Beinen.«
    Sie lächelte. Diesmal spontan. »Ich mach Ihnen gleich einen Drink«, sagte sie, »doch zuerst ziehen wir Clive den Pyjama an und legen ihn ins Bett.«
    Als das erledigt war, gingen wir wieder hinunter. Jillian führte mich in einen holzgetäfelten Raum mit Ledermöbeln. Der Teppichboden war so dick, dass man darauf hätte schlafen können, ohne mit schmerzendem Rücken aufzuwachen. An einer Wand befand sich ein Kamin, der aussah, als wäre er noch nie benutzt worden. Über dem Kaminsims hing das Porträt eines älteren Mannes. Auf mich machte er den Eindruck eines wohlhabenden, einflussreichen Mannes, der zu allem fähig war. Jillian öffnete einen Barschrank aus Teakholz, der sogar über ein kleines Spülbecken verfügte. »Was möchten Sie trinken?«, fragte sie.
    »Tequila.«
    »Igitt! Terpentin. Obwohl … Clive mochte das auch. Wir haben ein paar Flaschen da. Brauchen Sie etwas zum Runterspülen? Farbverdünner, vielleicht?«
    »Nur ein, zwei Kurze, ohne alles, bitte.«
    Für mich ist Tequila Medizin. Vor allem für den Rücken. Im Gegensatz zu anderen Spirituosen hat Tequila eine muskelentspannende Wirkung. Als ich mich von meiner Rückenoperation erholte, brachte mir Ray Fuentes einen Liter Herradura vorbei, einen guten Tequila, der aus der blauen Agave gemacht wird. »Nichts wirkt besser gegen Rückenschmerzen«, sagte er, »nicht mal Demerol. Aber du musst richtig zuschlagen, dir ’nen ordentlichen Rausch antrinken. Wenn du morgen ohne Schmerzen aufwachst, wirst du zur Kirche pilgern und eine Kerze für die Schutzpatronin der Blauen Agave anzünden wollen.« Ray hatte Recht. Und der Kater war relativ harmlos.
    »Sie fragen sich bestimmt, warum Clive und ich getrennte Schlafzimmer hatten«, sagte Jillian. Ich fragte mich das überhaupt nicht. Irgendjemand hat mal gesagt, Reiche seien anders. Ja, sie haben mehr Geld, lautet die bekannte Antwort. Aber vielleicht zwingt einen das Geld, anders zu sein. Es eröffnet Möglichkeiten. Und Reiche haben Möglichkeiten, von denen Arme nicht mal zu träumen wagen. Arme Ehepaare, ob glücklich oder nicht, müssen in einem Raum schlafen; Reiche schlafen, wo sie wollen, wie Katzen.
    Sie hatte mir ein Schnapsglas in die Hand gedrückt und eine Flasche Tequila. Die Marke sagte mir nichts. Ich studierte das Etikett, um zu sehen, ob der Tequila aus der Agave azul hergestellt war. Er war es. Ich goss mir einen ein, kippte ihn hinunter und füllte nach.
    »Wir hatten schon seit Jahren keine richtige Beziehung mehr«, sagte sie, während sie sich einen Whiskey Sour machte. Dann setzte sie sich zu mir. Wir saßen in Ohrensesseln, einen kleinen Beistelltisch mit Lederplatte zwischen uns.
    »Clive war nicht gut im Bett«, fuhr sie fort. »Er bekam ihn nur hoch, wenn ich ihn knebelte, fesselte oder ihm Gewalt androhte. Es ist nicht leicht, so jemanden zu lieben. Man empfindet Mitleid, aber keine Liebe.«
    Ich versenkte meinen Kurzen und schickte einen weiteren hinterher. Die therapeutische Wärme des Tequilas strahlte von meinem Magen aus in die Gliedmaßen.
    »Die SM-Spielchen machten ihn an, mich stießen sie ab. Deshalb hatte ich nichts dagegen, dass er zu Mona ging. Es machte ihn glücklich.«
    »Was macht Sie glücklich?«, konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen.
    Sie sah mich lange an, versuchte, meine Beweggründe zu erraten, und sagte dann: »Nicht viel.

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