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Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
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Strauchwerk erschien das Ganze üppig wie ein vom Regen bevorzugtes Gebiet.
    Der Zugang zum Grundstück erfolgte über ein großes Tor aus Schmiedeeisen, das Jillian per Knopfdruck, vom Armaturenbrett ihres Mercedes aus, öffnen konnte. Bis wir das Haus erreicht hatten, vergingen nochmals mehrere Minuten. Verglichen mit diesem Haus wirkte das der Farnsworths wie ein Geräteschuppen. Es war im Stil viktorianischer Landhäuser gebaut, dreigeschossig, mit mehreren Giebeln. Ich zählte vier Kamine. Rund um das Gebäude standen Schatten spendende Ulmen und Eichen. Die Rensellers mussten über eine eigene Wasserleitung zum Colorado River verfügen, um ihren Besitz in diesem Zustand zu erhalten. Er wollte sich so gar nicht in das Bild südwestlicher Wüstenfauna und -flora einfügen. Im Grunde schien das Anwesen der Rensellers nur geschaffen worden zu sein, um jegliche Verbindung mit der trostlosen Realität, die es umgab, zu leugnen. Ich fragte mich, wie sie mit Klapperschlangen, Skorpionen und den gelegentlichen Sandstürmen fertig wurden.
    »Nette Gegend«, bemerkte ich.
    »Ich weiß, was Sie denken«, sagte sie. »Sie betrachten es als anmaßend, als ignorant, etwas Derartiges mitten in die Wüste zu setzen.«
    Ich erwiderte nichts darauf.
    Sie wusste mein Schweigen richtig zu interpretieren. »Nun, Sie haben Recht. Vor fünf Jahren bin ich nur widerwillig von Oregon hierher gezogen. Also haben wir ein Stück Umgebung von Portland geschaffen, nur für uns. Clive nannte es Oak Grove am Rio Grande. Inzwischen schäme ich mich fast ein wenig dafür. Vermutlich verbrauchen wir Tag für Tag mehr Wasser als halb Juárez.«
    »Der Grundwasserspiegel sinkt.«
    »Dank Leuten wie uns.« Ich schielte nach hinten, um nach der anderen Hälfte von ›uns‹ zu sehen. Clive machte nicht den Eindruck, als interessiere er sich noch ernsthaft für Wüstenökologie.
    Jillian fing an zu weinen. Doch ihre Tränen galten wohl kaum dem sinkenden Grundwasserspiegel. Ihre Tränen galten ihr.
    »Wenn guten Menschen Böses widerfährt«, sagte ich. Sie sah mich kurz von der Seite an, um zu sehen, ob ich den Klugscheißer raushängen ließ. Einerseits tat ich es, andererseits nicht. Redewendungen enthalten immer eine Portion Wahrheit. Und Jillian war mir nicht unsympathisch, sah man vom Dissens in Sachen Ökologie mal ab. Sie hielt unter einer Porte Cochère. Die erschaffene Illusion vom nördlichen Landhausstil des 19. Jahrhunderts in all seiner Opulenz war beeindruckend. Beim Aussteigen erwartete ich geradezu die feuchtkalte Luft des Nordwestens, doch der heiße Wüstenwind war kräftig genug, um unsanft durch die nach Wasser dürstenden Ulmen zu fahren. Ein aufkommender Sandsturm lag buchstäblich in der Luft.
    Ich öffnete die hintere Wagentür. Clive Renseller sah aus, als hätte er eine lange, ermüdende Fahrt hinter sich und döse jetzt. Der Sicherheitsgurt hielt ihn im Sitz. Jerry und ich hatten versucht, ihm Hemd und Hose anzuziehen, es dann aber aufgegeben. Niemand bekäme ihn unterwegs zu sehen und zu Hause müssten Jillian und ich ihn irgendwie in den Schlafanzug stecken. Jillian hatte den Mercedes in die Garage der Farnsworths gefahren, während ich Clive durch die Küchentür hinausgetragen hatte, um ihn anschließend auf den Rücksitz zu verfrachten und anzuschnallen. Doch jetzt, unter der Porte Cochère, waren wir völlig ungestört. Wir wären auch ungestört gewesen, wenn ich ihn vom Tor hinauf zum Hauseingang getragen hätte, doch von hier aus waren es nur wenige Schritte bis zum Hauseingang.
    Jillian stand neben mir. Wir blickten hinunter auf Clive. Erstaunlich, wie gelassen er wirkte. Tot sah er besser aus als lebendig. Nicht mehr so gerötet, nicht mehr so angestrengt, aus jeglicher sexuellen Verstrickung gelöst. Ein solider Blutdruck von 0/0, keine Herzrhythmusstörungen, keine Angst. Wir blickten hinunter auf ihn, unfähig oder nicht bereit, etwas zu sagen. Schweigen schien angemessen.
    »Armes Schwein«, entfuhr es mir schließlich.
    Jillian berührte meinen Arm. »Danke«, sagte sie. »Das werden vermutlich die einzigen ehrlichen Worte sein, die man über ihn fallen lassen wird.« Ihre Stimme klang ziemlich emotionslos. In ihrer Ehe – da legte ich mich ganz einfach fest – waren die Gefühle seit geraumer Zeit erkaltet. Das kam mir absolut bekannt vor.
    Ich beugte mich in den Wagen, löste den Sicherheitsgurt und hockte mich dann vor die offene Tür. Als ich Clives Arm packte, kippte der Körper in meine Richtung. Ich

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