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Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
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wusste Bescheid. Jeden Abend hatte unser Vater, Sam Walkinghorse, uns Kindern aus der Bibel vorgelesen. Oft war ich beim tiefen Klang seiner Stimme eingedöst, doch kaum war mein Name gefallen, der Name Uria, war ich wieder munter und hörte mir die ganze verdammte Geschichte von David, Uria und Bathseba an. Aber das hatte ich immer für mich behalten, keine Ahnung, warum. Vielleicht aus Angst, dass mich eines Tages Urias Schicksal ereilen könnte, was, in einem gewissen Maße und mit einigen Abweichungen, auch eintraf. Doch im Grunde war dieses Sich-dumm-Stellen nur Ausdruck meines Unmutes – all die Jahre nur Bibelgeschichten anstelle von Fernsehen hatte bei mir eine Ignoranz gegenüber der Bibel gefördert. Zwar war ich bestens über die Stämme Israels informiert, von meiner eigenen Kultur jedoch hatte ich keine Ahnung. Dafür entschädige ich mich jetzt hinreichend. Ich habe einen Sony mit achtziger Bildröhre, dazu einen Videorecorder mit vier Videoköpfen und einen DVD-Player. Per Kabel kann ich im Baron Arms 105 Kanäle kostenfrei empfangen. Auf Nick at Nite verfolge ich all die Sitcoms, die ich als Kind verpasst habe. Am liebsten mag ich Lucy, Leave it to the Beaver und Ozzie and Harriet – sozusagen Frühgeschichte in Sachen verwirrter Ehemänner und Ehefrauen.
    »Uria war einer der besten Krieger König Davids«, fuhr Güero fort, wieder ganz Professor. Ich ließ ihn machen. »Er war mit Bathseba verheiratet. König David schickte Uria in den Krieg, dorthin, wo er auf jeden Fall geschlachtet werden würde. Uria, ein ergebener Untertan, wurde von seinem eigenen König in die Falle gelockt, weil der Bathsebas kleine chichis unter der Bettdecke massieren wollte. Dabei hatte Bathseba bereits mit David gevögelt und war schwanger von ihm. Doch dass er Uria geradewegs in einen Speer der Ammoniter laufen ließ, wusste sie nicht. Diese puta war dem König sehr dankbar, dass er Urias eheliche Pflichten jetzt übernahm. Eine überaus traurige Geschichte, wenn nicht sogar die traurigste schlechthin.«
    »Ich bin nicht traurig.«
    »Deine Traurigkeit ist dein Erbe. Deine Eltern haben das gespürt, als sie dich so nannten. Wir bekommen immer die richtigen Namen, Namen, die wir verdienen, egal, ob die Leute, die uns die Namen geben, etwas darüber wissen oder nicht. Deshalb haben die Schwarzen sich ihre Namen ausgedacht. Es ist ein Versuch, der Geschichte zu entfliehen.«
    »Mein Bruder heißt Moses, und er ist ein Junkie, ein aussichtsloser Fall.«
    »Er könnte den Beweis noch erbringen. Mantenga la fe, Mann. Gib Moses nicht verloren. Vielleicht führt er eines Tages einige Fixer hinaus aus der Wüste.«
    Ich fragte mich, was für eine Geschichte sich wohl hinter dem Namen Clive verbarg. Es musste sich um eine ganz schön kitzlige Affäre handeln.
    Ein Trupp von sechs Leuten platzte ins DMZ, als wollten sie sich vor den stürmischen Böen draußen in Sicherheit bringen. Die Stammgäste am Tresen blinzelten in das grelle Licht, das durch die offene Tür fiel, durch die sich drei schillernde Pärchen zwängten. Die sechs setzten sich an einen Tisch und riefen dem Barkeeper ihre Wünsche zu. Es waren Mexikaner, reiche Mexikaner. Die Frauen steckten in Lederjacken, weich wie Babyhaut und mit Silberfuchs und Hermelin verbrämt. Die Männer trugen Kamelhaarmäntel und darunter Armani-Anzüge. Bevor sie sich aus ihren 1000-Dollar-Mäntel schälten, warfen sie ihre Mobiltelefone auf den Tisch. Kaum dass die Männer saßen, fingen die Dinger auch schon an zu klingeln. Die Kerle stoben also wieder auseinander, deckten ihre Telefone mit der Hand ab und sprachen leise auf Spanisch hinein. Ich sah Güero an.
    »Aha, sich mal wieder unters Volk mischen«, lautete sein Kommentar. »Die sind aus Campestre, der Stadt in der Stadt, auf der anderen Seite vom Rio.«
    »Woher weißt du das?«
    »Weil da das Geld zu Hause ist. Massenhaft.«
    »Nichts für ungut, aber was haben die hier in dieser Bruchbude zu suchen?«
    Güero zuckte mit den Achseln. »Wie ich bereits gesagt habe, woll’n sich wieder mal unters Volk mischen.«
    In ihrer Lederkluft und den Stilettos machten die Frauen einen auf sexuell-dynamisch. Die pelzbesetzten Jacken unterstrichen das Sich-zur-Schau-Stellen, andererseits waren sie auch von praktischem Nutzen, wenn man bedachte, dass es noch Frühling und das Wetter somit unberechenbar war. Mit nahezu majestätischer Überheblichkeit blickten sich die Frauen in der Bar um. Die Stammgäste beugten sich wieder über ihre

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