Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
Vom Netzwerk:
noch einen toten Ehemann durch die Gegend zu kutschieren?«
    »Machen Sie sich nicht lustig, Uri. Ich bin eine trauernde Witwe.« Sie klang wie Imelda Marcos, die sich um ein Paar abhanden gekommener Pumps grämte. »Können Sie gleich herkommen? Bitte sagen Sie ja. Wir müssen uns unterhalten.«
    Die zuckersüße Verlockung in ihrer Stimme zielte direkt auf meine Bedürfnisse. »Nein«, sagte ich. »Ich muss jetzt zu meinen Verwandten. Vielleicht am späten Abend.«
    »Dann komme ich zu Ihnen. Es ist das alte Motel am anderen Ende der Mesa, nicht wahr?«
    »Das Baron Arms. Apartment 41-A. Ich müsste gegen zehn zu Hause sein.«
    Ich parkte vor dem alten Haus. Zipporah kam heraus, um mich zu begrüßen. »Das reinste Irrenhaus, Uri«, sagte sie. »Mom weiß nicht, wo ihr der Kopf steht. Daddy quatscht in der Küche mit Jesus.«
    Zipporah ist groß, schmal und sehr dunkel. Sie war in Jeans und Sandalen und trug ein T-Shirt, das ihre langen, drahtigen Arme zeigte. Ihr krauses, ultrakurz geschnittenes Haar wurde von einer gezackten, weißen Strähne durchzogen, die von der Stirn bis in den Nacken verlief. Ich hatte Zip mehrere Monate nicht mehr gesehen. Wir umarmten uns, dann machte sie einen Schritt zurück und musterte mich. »Mein kleiner Bruder sieht ziemlich fertig aus. Hängt wieder mal der Haussegen schief?«
    »Gert hat mich verlassen, Zip. Sie ist mit einem Rennfahrer durchgebrannt. Aber das ist es nicht. Unser Verhältnis war schon seit langem gespannt.«
    »Oh, mein Schatz, das tut mir leid. Obwohl … um die Wahrheit zu sagen, ich habe sie nie gemocht. Sie war immer irgendwie zickig, hochnäsig, weißt du, was ich meine? Hat immer diese Fick-mich-Stiefel über ihre dürren, weißen Beine gezogen und so getan, als müsse sie sich nie die Scheiße von der Rosette wischen.« Sie drückte meinen Bizeps. »Bereitest dich immer noch auf den Knast vor, wie ich sehe.«
    Ich stand auf Zipporahs Gossensprache. Während unserer Kindheit und Jugend hatte keiner von uns einen Slang gesprochen, aber Zipporah war die Leiterin einer Problem-Schule in der mit Straßengangs reich gesegneten East Side und hatte das Gefühl, mit den Kids gleichziehen zu müssen. Ein hoffnungsloses Unterfangen.
    Wir gingen ins Haus. Maggie stand mitten im vorderen Zimmer, ein Paar Hausschuhe in der Hand. Mit ihren Gedanken ganz woanders, umarmte sie mich nur flüchtig. Maggie ist fünfundsiebzig und sah diesmal genauso aus. Das war ungewöhnlich, denn sie hatte immer mindestens zehn Jahre jünger gewirkt. Sie war mollig, doch ihr Gesicht sah verhärmt aus und ihr weißes Haar war strähnig, als habe sie wochenlang das Bett hüten müssen. »Die sind für Jesus«, sagte sie und hielt die Pantoffeln hoch. »Er ist gerade in der Küche. Daddy meint, unser Linoleumboden ist zu kalt für seine verletzten Füße. Jesus ist in sein Leichentuch gehüllt und ihn friert, weil er doch geradewegs aus seinem feuchten, kalten Grab kommt.« Ich sah Zipporah an. Die verdrehte die Augen, aber so, dass Maggie es nicht mitbekam.
    »Wenn wir ihn nicht ins Krankenhaus bringen, hat er nur noch einen Monat zu leben«, erklärte mir Zipporah.
    »Kannst du versuchen, mit ihm zu reden?«, fragte Maggie. »Er benimmt sich, als wäre ich gar nicht vorhanden. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll.« Sie schluchzte auf und ihre trüben blauen Augen schwammen in Tränen.
    »Wir kümmern uns darum, Mama«, sagte Zipporah.
    »Ja? Wirklich, Liebling? Gott sei Dank! Ich schaff das einfach nicht mehr.«
    »Was stimmt denn nicht mit ihm, Mom?«, wollte ich wissen. Ich hatte seit geraumer Zeit keinen Kontakt mehr mit Sam und Maggie. Jedes Mal, wenn ich nach Hause gekommen war, hatte Sam das Thema auf meinen Lebensstil gebracht, den er als ziellos, sinnlos und gottlos betrachtete. Sam hatte nie einen Hehl aus seiner Enttäuschung gemacht, seiner Enttäuschung darüber, was aus mir geworden war. Meine einzige Auszeichnung, der Mr.-Westside-Pokal von 1983, hatte ihn nie beeindruckt. Egal wann ich auftauchte, immer war er mir mit seinen Predigten gekommen. Also zog ich es vor, mich vom alten Walkinghorse-Haus fern zu halten.
    Sams Lieblinge waren Jesaja und Zipporah. Sie hatten Familie, führten ein normales Leben und gingen in die Kirche. Maggie hatte nicht angerufen, um mich über Sams Zustand zu informieren, was bedeuten konnte, dass sie mich ebenfalls abgeschrieben hatte. Ich war durch mangelnde Leistung zum Außenseiter geworden.
    »Hirntumor«, sagte Zipporah, »ein großer,

Weitere Kostenlose Bücher