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Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
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konnte ich nicht mal auf die andere Straßenseite, hinüber zum Baron Arms, sehen. Ich flüchtete ins Auto und kurbelte die Fensterscheiben hoch. Es knirschte zwischen meinen Zähnen, meine Augen schmerzten. Ich musste sogar ein paarmal niesen. Nachdem ich den Motor angelassen hatte, schaltete ich die Scheinwerfer an, kroch über die Mesa und hoffte inständig, dass mich kein Bus rammte.
    Durch die offenen Flure, Luftschächte und Treppenhäuser des alten Motels pfiff der Wind, stöhnte wie eine Vielzahl von Stimmen, die man aus der Hölle herbeigerufen hatte. Auf dem Weg zu meinem Apartment kämpfte ich gegen ihn an, blieb mit den Wänden auf Tuchfühlung, um nicht von einer heftigen Böe erfasst und über das Geländer des Laubengangs geweht zu werden. Ein Windstoß riss mir die Tür aus der Hand, schlug sie gegen die Wand, wo sie ein Loch im Rigips hinterließ. Um die Tür schließen zu können, musste ich mit der Schulter dagegen drücken. Auf meinem Gesicht spürte ich den feinen, stechenden Sand, der zwischen Tür und Türrahmen hindurchfegte.
    Da war eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, aber ich hatte keine Lust, mir das anzuhören. Ich hatte keine Lust, mich um voll geschissene Toiletten zu kümmern, um Myriaden von Kakerlaken oder das Schiedsgericht im hauseigenen Chaos zu spielen.
    Auf meinem Bett lagen immer noch Forbes’ Waffe und die Patronen. Ich klaubte alles zusammen und warf es in die Schublade mit meiner Unterwäsche. Dort, wo Victor die Wand heruntergerutscht war, entdeckte ich eine Blutspur. Mit Seifenwasser und Papiertüchern wischte ich alles weg. Arnold, die nackte Blondine auf den Schultern, schien mich auszulachen. Hey, Scheißkopf, rief er mir zu, mach endlich was aus deinem Leben! Die Blonde stimmte ihm zu und presste den heißen Scheitelpunkt ihrer Schenkel in seinen Nacken, während ihre Augen vor Übermut blitzten.
    Ich machte mir einen Kaffee und setzte mich an den Tisch vor dem Fenster. Auf der Fensterbank hatte sich eine akkurate Linie Sand gebildet. Das Fenster war absolut dicht, doch die Wüste fand immer einen Weg, ihre Vorherrschaft unter Beweis zu stellen. Ich sah hinunter auf den Parkplatz. In der sandgeschwängerten Atmosphäre sahen die Autos aus wie pastellfarbene Geisterwagen, unscharfe Silhouetten auf einem Asphalt, der durch die Sandmuster wie ausradiert wirkte.
    Ginge es nach Güero, war es um meine Zukunft schlecht bestellt. Ich dagegen wollte an eine rosige Zukunft glauben. Ich kramte unter dem Tisch in einem Karton mit Lehrbüchern und entschied mich für eine schmale Monographie über Algebra. Seit fünf Jahren habe ich keinen Mathematikunterricht mehr gegeben. Mir bleiben noch zwei Jahre, bevor meine Lehrerlaubnis abläuft, danach müsste ich eine neue Zulassung beantragen.
    Ich blieb bei der Galois-Theorie der Gleichungen hängen: Zu jeder dieser Untergruppen gehört genau ein Zwischenkörper und umgekehrt. Darüber hinaus können aus den Eigenschaften jeder dieser Untergruppen auch entscheidende Eigenschaften des zugehörigen Zwischenkörpers abgelesen werden. Ich war nicht in der Lage, genügend angesammeltes Wissen abzurufen, um zu verstehen, was das bedeutete. Die folgenden Absätze und Seiten waren auch nicht aufschlussreicher. Ich hatte übelst nachgelassen. Ich schnappte mir ein Buch über die Geschichte der Mathematik und las ein Essay über Muhammed Ibn Musa al-Khwarizmi, den Mann, der um 825 die Algebra erfunden hatte. Es war fast tröstlich – der Sturm im Hintergrund, der gegen die Wände meines Apartments drückte, und die Lektüre, die von einem Mann handelte, der vor zwölf Jahrhunderten unter einem ähnlichen Himmel voller Sand einen brillanten Beitrag zur Entwicklung der Zivilisation geleistet hatte. Al-Khwarizmi hatte eine Zukunft in einer Zeit, in der es wenig Anlass gab, den Blick nach vorn zu richten.
    Warum er, warum nicht ich? Die Frage überhaupt.
    Ich drückte die Wiedergabetaste des Anrufbeantworters. Es war kein Mieter, der sich beschweren wollte. Es war Gert. Gert! Von der ich nichts mehr gehört hatte, seit sie stiften gegangen war. »Um Gottes willen, Uri, du bist so was von im Verzug! Richter Whitsall hat gesagt, dass du mir ein Drittel deines Einkommens schicken musst. Hast du den Zettel mit meiner Postfachnummer in Lauderdale verschlampt? Komm, Schatz, erledige das jetzt, okay? Ich hoffe, du bist nicht mehr stocksauer. Es war besser so, das weißt du. Du bist ’ne ganze Ecke schlauer als ich, Mister! Auf Dauer hätte das nicht

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