Karambolage
Polizei verständigt?«, wollte Juricek wissen.
Seidl zögerte. Die Situation war ihm offensichtlich peinlich.
»Wissen Sie, ich habe so etwas noch nie erlebt«, sagte er schließlich. »Ich stand da wie vom Blitz getroffen, öffnete kurz das Fenster, beugte mich hinaus, wollte mehr sehen. Es war wie in einem Film, bei dem man sicher sein möchte, dass er aus ist, bevor man geht. Ich hörte noch die Schritte des weglaufenden Täters, sah das Auto und den Mann am Boden … Es handelt sich um Georg Fellner, nicht wahr?«
»Gratuliere, den haben Sie ja gleich ganz genau erkannt«, spöttelte Juricek.
»Ich kenne den Kerl. So eine Visage vergisst man nicht.«
Juricek hob leicht die Augenbrauen. »Da sollten Sie mir aber mehr darüber erzählen«, sagte er.
»Früher, als ich gesundheitlich besser beisammen war, vor dem Tod meiner Frau, ging ich öfters hinunter ins Kaffeehaus. So richtig gesund war ich freilich damals auch schon nicht. Fellner hielt sich zu der Zeit auch noch häufig im ›Heller‹ auf. Er konnte mich nicht leiden. Er warf mir vor, ein Simulant zu sein, wenn ich wieder einmal von der Arbeit zu Hause bleiben musste und trotzdem auf ein Glas hineinschaute. Er machte dann seine dummen Witze auf meine Kosten, dabei hatte er keine Ahnung, was es heißt, in einer Druckerei zu arbeiten, bei all den giftigen Dämpfen. Und ich durfte ihm schön artig ein Getränk zahlen, damit er mich nicht verpfiff.«
Seidl zündete sich eine weitere Zigarette an. Seine trüben, gelb verfärbten Augen flackerten. »Ich erkannte zu spät, dass dieser Mensch einfach einen miesen Charakter hatte. So machte ich den Fehler, ihn zu bitten, mir wegen meines Sohnes Eduard zu helfen, den er noch mehr verachtete als mich, weil er keinen wirklichen Schulabschluss hatte, noch immer bei mir wohnte und nur Gelegenheitsarbeiten verrichtete. Ich fragte Fellner, ob es denn eine Möglichkeit gäbe, ihn bei der Post unterzubringen. Na schön, meinte er, Eduard solle bei einem Vorstellungsgespräch vorbeischauen, dann würde man weitersehen. Ich hätte ahnen müssen, was dann kam. Eduard fängt nämlich leicht zu stottern an, besonders, wenn er aufgeregt ist. Sie können sich denken, wie ihn Fellner bei diesem Gespräch zur Sau gemacht und imitiert hat und es schließlich genoss, als Eduard die Wut packte. Einen richtigen Spaß hat er sich aus dem Ganzen gemacht. Sie können sich auch vorstellen, dass Eduard den Posten nie bekommen hat. Dafür hat Fellner noch lange danach keine Möglichkeit ausgelassen, mir mitzuteilen, was für einen dämlichen Sohn ich hätte. Aber jetzt liegt er da unten und schaut, glaube ich, auch nicht gerade gescheit drein.«
»Sie konnten Fellner also nicht leiden«, stellte Juricek fest.
»Nein, das kann man wirklich nicht behaupten.«
»Sie haben ihn gehasst, nicht wahr?«
Seidl überlegte, wartete mit der Antwort, so, als wolle er jetzt nur ja keinen Fehler machen. »Gehasst, nun ja«, sagte er dann vorsichtig, »natürlich habe ich ihn damals gehasst. Aber jetzt ist alles nicht mehr so wichtig. Wenn es einem gesundheitlich einmal so schlecht geht wie mir und kaum Hoffnung besteht, dass es noch einmal besser wird, stumpft man ab. Was bedeuten da die Enttäuschungen vergangener Tage.« Er spürte den prüfenden Blick Juriceks und bekam eine trockene Kehle, sodass er husten musste. »Sie werden doch nicht glauben, dass ich ihn umgebracht habe? Ich war die ganze Zeit über hier. Außerdem erlaubt es mir mein körperlicher Zustand nur selten, hinunter auf die Straße zu gehen – und wenn ich es getan hätte, wäre ich auch mit einem betrunkenen Fellner nicht fertig geworden.«
»Mag schon sein«, sagte Juricek. »Lebt Ihr Sohn immer noch hier?«
Seidl nickte.
»Wo ist er denn jetzt?«
»Ich weiß nicht. Wahrscheinlich ist er nach der Arbeit noch einen trinken gegangen. Halten Sie etwa ihn für den Mörder? Das ist doch lächerlich.«
»Einstweilen halte ich alles für möglich. Sie waren beide sauer auf Fellner, hatten beide ein Motiv.«
»So wie viele andere auch«, protestierte Seidl, und seine Hand zitterte dabei. »Warum sollte jemand von uns ihm denn gerade heute bei diesem Sauwetter aufgelauert haben?«
Im selben Augenblick hörte man kurz das Geräusch eines Schlüssels, dann öffnete sich die Tür, und Eduard Seidl kam herein. »Hallo, Daddy, du hast es sicher schon gesehen. D… den Fellner hat’s erwischt«, verkündete er heiter. »Er liegt in einer Lacke und rührt sich nicht mehr, und ich
Weitere Kostenlose Bücher