Karambolage
anderen den Sieg seines Onkels begossen. Dann kam sein Vater und hatte eine Auseinandersetzung mit Fellner. Schließlich hat er den Jungen wütend mitgenommen.«
»Wenn wir jeden verdächtigen, der schon einmal wütend auf Fellner war, haben wir viele Kandidaten«, unterbrach ihn Leopold. »Das ist nämlich in Wahrheit die Schwierigkeit, Richard: Der Fellner ist nur mit wenigen gut ausgekommen, weil er gerne provoziert und einen unregelmäßigen Lebenswandel gehabt hat. Er hat einfach polarisiert. Einerseits hat er immer Leute angezogen, denn bei ihm war was los, andererseits sind seine Scherze und Aktionen oft auf Kosten anderer gegangen. Und heute sind viele von denen zusammengekommen, auch seine ganzen Klubfreunde. Es war eine total unüberschaubare Situation, vor allem, als dann noch das Licht ausgegangen ist. Ich habe da ja so eine Theorie …«
»Fakten brauchen wir, Leopold, Fakten«, sagte Juricek. »Was hat dieser Fellner eigentlich gemacht? Was war er von Beruf?«
»Er hat das Hotelfach gelernt. Soviel ich weiß, ist er dann eine Zeit unterwegs gewesen und hat gejobbt, bis er seine jetzige Frau Olga kennenlernte. Sie hat eine Pension in Strebersdorf.«
»Die Pension ›Olga‹?«
Leopold nickte. »Genau. Da hat er ein bisschen geholfen und mitkassiert. Bei der Post ist er dann auch untergekommen. Dort hat er sich in der Personalabteilung wichtig gemacht.«
Korber fiel ein, dass seine neue Kollegin Maria Hinterleitner jetzt wahrscheinlich in ebendieser Pension selig schlief, ohne zu ahnen, was an diesem Abend nach ihrem Abschied noch alles vorgefallen war.
»Gehen wir weiter«, sagte Juricek. »Wann ist der Unfall passiert? Und wie groß waren die Zeitabstände? Wann haben etwa Sykora, dieser Fürst und Fellner das Kaffeehaus verlassen?«
Leopold blickte automatisch auf die Kaffeehausuhr, deren Zeiger immer ein wenig hintennachliefen, so als ob in der Welt hier herinnen die Zeit stehen geblieben sei. Er versuchte, sich zu erinnern.
»Ich denke, Fellner ist so um halb elf gegangen, und ziemlich bald danach lag er vor dem Auto. Fürst und sein Sohn haben das Lokal etwa eine Viertelstunde vorher verlassen. Sykora ging ja viel früher, gleich nach seiner verlorenen Partie, also etwas vor neun.«
Juricek schüttelte den Kopf. »Fürst hatte seinen Sohn dabei, der seinen Onkel gern mochte, wie ihr sagt. Und Sykora hätte beinahe zwei Stunden auf Fellner warten müssen, einen Teil davon bei diesem Sauwetter. Kannst du dir vorstellen, dass seine Wut so groß war?«
»Warum nicht? Durchaus möglich, dass er sich zunächst einmal irgendwo hat volllaufen lassen und dann zurückgekommen ist, um Fellner zu stellen. Aber wie gesagt, eine Wut auf Fellner hatten einige. Weißt du, wie viele andere Leute heute da waren, Richard? Da lief das Vorrundenfinale in der Dreibandpartie, und Fellners Anhang war komplett vertreten. Jeder hatte die Gelegenheit. Deshalb müssen wir …«
»Abwarten, Leopold. Noch ist das mit dem Mord nur eine nebulöse Theorie. Ich gehe jetzt einmal nachschauen, was meine Leute draußen in der Zwischenzeit herausgefunden haben. Vielleicht bringt das mehr Licht in die Sache.«
Als Juricek das Wort ›Licht‹ aussprach, gingen wie auf ein geheimes Zauberwort alle Lichter im Lokal und draußen wieder an. Ungläubig blinzelten die noch verbliebenen Gäste nach oben. Wie schnell hatten sie sich an die angenehm schummrige Kerzenbeleuchtung gewöhnt, doch jetzt waren alle froh, dass die Zivilisation wieder in Floridsdorf Einkehr gefunden hatte. Man konnte beruhigt nach Hause gehen – oder noch ein Glas auf den Schrecken trinken.
Inzwischen stand Juricek vor dem Kaffeehaus. »Na, Bollek, wie schaut’s aus?«, grüßte er seinen Kollegen.
»Guten Abend, Herr Oberinspektor. Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang, würde ich sagen. Bei dem Toten handelt es sich um einen gewissen Georg Fellner. Er war betrunken und ist regelrecht in das Auto hineingestolpert. Der Fahrzeuglenker, Herr Florian Silber, hat ihn bei den herrschenden Bedingungen wohl zu spät gesehen und keine Chance gehabt, rechtzeitig abzubremsen. Fellner war sofort tot.«
»Sie meinen also nicht, dass Fellner vor das Auto gestoßen wurde, wie man uns am Telefon erzählt hat?«
Bollek lächelte verkrampft. Dabei wischte er sich mit einem Tuch die Regentropfen von der hohen Stirn. »Ich weiß, Ihr Freund, der Kaffeehausober, ist von dieser Idee ganz besessen. Aber im Augenblick deutet nichts darauf hin. Zeugen gibt es leider keine.
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