Karambolage
benötigt? Für seinen Freund Thomas Korber konnte das nichts Gutes bedeuten, denn er hatte sich in eine liebenswürdige, sympathische, schöne Frau verliebt, die sich den Problemen einer anderen, jüngeren Frau mehr widmete als seinen eigenen. Ja, Maria hatte noch nicht einmal begonnen, die Probleme von Thomas zu entdecken. Thomas hatte vermutlich das Übliche getan: Er hatte seine Gefühle an ein weibliches Wesen verschenkt, das diese nicht erwidern würde. Nicht gut für die Stimmung. Leopold sah wieder eine Menge psychologische Kleinarbeit auf sich zukommen.
Und er sah noch mehr. Er vermeinte zu bemerken, wie sich während des Gespräches Marias Hand um Ingrids Hüfte legte und sie dort zärtlich zu kraulen begann. Jetzt aber!
War das nur ein Versuch Marias, beruhigend auf ihre Freundin einzuwirken, oder war da mehr? Fand die Lehrerin vielleicht etwas an dem Fingernägel kauenden Rotkäppchen? Jetzt nahm sie einen Schluck vom Kaffee, und Ingrid schnuckelte ihr doch glatt mit den Fingern das Sahnehäubchen von den Lippen. Beide lachten und schauten für einen Augenblick wirklich aus wie ein verliebtes Paar.
Leopold gefiel das nicht, um ehrlich zu sein: überhaupt nicht. Er zog sich diskret zurück und servierte einen Toast in die hintere Loge. Wie viele andere Vertreter seines Geschlechts war er unangenehm von der Tatsache berührt, dass die Frauen nebst anderen Bereichen auch in der Liebe ohne Männer ihr Auslangen zu finden schienen. Das wirkte irgendwie beunruhigend. Für Thomas sah er jetzt sowieso endgültig schwarz. Er konnte nur hoffen, dass sein Freund nicht doch noch unvermutet auftauchte und diese Tragödie miterlebte.
Wieder öffnete sich die Tür, und Frau Jahn stolperte auf ihrem Stock herein. Bei ihrem Anblick besserte sich Leopolds Laune schlagartig. »Frau Chefin, jetzt wird’s ernst«, rief er in die Küche. »Unsere Mörderin ist da.«
*
Draußen, in der Welt vor dem Kaffeehaus, wurde es schon langsam finster. Drinnen wurde eifrig gespielt, in Zeitungen geblättert, getratscht und getrunken. Thomas Korber war, Gott sei Dank, nicht gekommen, und Maria Hinterleitner und ihre Freundin Ingrid waren, Gott sei Dank, schon wieder gegangen. Das Herumgeschnuckele hatte Leopold überhaupt nicht gepasst.
Jetzt schob Oberinspektor Juricek seinen breitkrempigen Hut in die rauchgeschwängerte Luft hinein. Er grüßte, stellte sich nach vor an die Bar und bestellte einen großen Braunen. Frau Heller war sofort zur Stelle, um ihn zu bedienen. »Sie müssen sich jetzt schon ein wenig unseren Gästen widmen, wie das ja Ihre eigentliche Aufgabe ist, Leopold«, sagte sie dann gekünstelt. »Sie stören nur, während ich mit dem Herrn Kommissar parliere. Hier handelt es sich jetzt um legale polizeiliche Aufklärungsarbeit und nicht um eine Ihrer Räubergeschichten.«
Juricek rührte gelassen in seiner Kaffeetasse um. »Lassen Sie meinen Freund ruhig zuhören, Frau Heller«, sagte er dann. »Er kennt ja sicher so ziemlich alle, die draufstehen, und das kann sehr hilfreich sein.«
»Ist eh nix los«, bemerkte der Angesprochene mit einer ausladenden Geste.
So musste Frau Heller widerwillig in Kauf nehmen, dass Leopold bei der Präsentation ihrer mit großer Sorgfalt erstellten Liste zugegen war. Dadurch konnte sie sich natürlich bei Weitem nicht so in Szene setzen wie geplant. Leopold redete ständig drein, immer wusste er noch etwas zu berichten, und die Länge des Aufenthaltes einzelner Gäste schien er auswendig im Kopf gespeichert zu haben. Frau Heller bekam schließlich vom Herrn Oberinspektor ein kleines kriminalistisches Lob. Das war aber auch schon alles. Dann wandte der sich seinem Freund zu.
»Die Leute aus dem Billardklub sind die wichtigsten. Die werden wir uns einzeln vornehmen«, sagte Juricek zusammenfassend.
»Mein Freund Thomas Korber wird heute dort eine Billardstunde oder deren zwo nehmen«, bemerkte Leopold vorsichtig. »Ich habe gemeint, er kann sich bei dieser Gelegenheit ein bisschen umhören. Nur wenn es dir recht ist, selbstverständlich.«
Juricek lächelte kurz süffisant. »Ach, wir spielen schon wieder den Privatdetektiv? Und schicken Herrn Korber in die Schlacht, während wir uns selbst im Hintergrund halten? Interessant. Also, dagegen, dass er sich im Billard verbessern will, kann ich wohl nichts einwenden. Aber er soll sich das Ganze nur anschauen, hörst du? Nur anschauen. Vielleicht fällt ihm ja etwas auf. Den Rest erledigen wir. Du weißt: keine
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