Karambolage
Mitterhofer, René Lacroix, Olga Fellner, Oskar Fürst sowie einige weitere, die Korber nicht kannte. Man saß nebeneinander an zwei länglichen Tischen. Eine richtige Unterhaltung wollte vorerst nicht zustande kommen. Korber, der vom Vortag eine allgemeine Trägheit mitgenommen hatte, lauschte den Gesprächsfetzen, ohne sich selbst allzu sehr einzumischen. Er beschloss, auch Neuling nicht auf die Aktion mit der Toilette anzusprechen.
Das einzige Thema für einen Gedankenaustausch war die Tatsache, dass bei den meisten am Vormittag die Polizei aufgetaucht war, Fragen gestellt und die Betreffenden für den morgigen Montag aufs Kommissariat vorgeladen hatte.
»Jetzt gehen sie schon wieder auf uns los«, schüttelte Olga Fellner den Kopf. »Dieser Sykora scheint ja Narrenfreiheit zu haben.«
»Wir können es nicht ändern. Außerdem ist ein zweiter Mord passiert, den die Polizei in Zusammenhang mit dem Mord an Georg bringt«, schnarrte Neuling. Seine stechenden Augen blickten dabei musternd in die Runde.
»Steht schon fest, dass es Mord war?«, fragte Korber.
»Offenbar ja«, antwortete Neuling. »Man hat festgestellt, dass dieser Eduard Seidl durch irgendein Mittel in seinem Whiskey betäubt worden ist, ehe er durch das Gas umkam. Zumindest hat es uns der Inspektor so geschildert.«
»Aber warum soll es einer von uns gewesen sein?«, ereiferte sich Olga und trank einen Schluck Wein. »Warum läuft Sykora noch immer frei herum und darf Leute zusammenschlagen? Mein armer Chéri.«
»Warum habt ihr ihn eigentlich nicht bei der Polizei angezeigt?«, wollte Viktor Papp wissen. Er hatte in etwa Neulings Alter, wirkte aber körperlich besser beisammen. Trotz der schummrigen Beleuchtung trug er eine große, schwarze Sonnenbrille über seinem weißen Schnurrbart. »Das war doch Körperverletzung.«
»Das macht das Kraut auch nicht fett, mes amis«, sagte Lacroix, der noch ein Pflaster auf der Nase kleben hatte. »Wir wollen Gerechtigkeit. Wir wollen den Mörder. Und wenn ich vorhabe, mich an Sykora zu revanchieren, so werde ich es tun.«
»Gerechtigkeit«, seufzte Papp. »Man sollte vorsichtig sein, wenn man so ein Wort in den Mund nimmt. Da heißt es ›Chéri‹ und da wird geturtelt, kaum dass der arme Georg unter der Erde ist. Man könnte beinahe den Eindruck bekommen, da hat jemand schon auf seinen Tod gewartet.«
»Meinst du etwa uns?«, fragte Olga mit der unschuldigsten Miene, die sie in das Extrazimmer zaubern konnte.
»Und ob. Es fällt mir schwer zu glauben, du hast deinen Mann nicht schon von Haus aus betrogen mit diesem … Filou«, sagte Papp.
»Hast du Georg die Treue gehalten?«, schnarrte jetzt wieder Neuling.
»Georg und Olga, c’était une mésalliance«, brummte Lacroix in sein Glas.
»Mésalliance war es keine«, sagte Olga und berührte leicht seine Hand. Dann nahm sie einen größeren Schluck vom Wein. »Auch wenn es mir niemand glaubt: Ich habe Georg bis zuletzt gemocht. Ich habe immer dieses ungebärdige Kind in ihm gesehen, das er auch war. Ich habe ihm auch alles verziehen, was er mir angetan hat.«
Sie stellte das Glas mit Nachdruck nieder. Es wurde jetzt ganz still in der Runde. Jeder schien zu wissen, was Olga mit ›alles‹ meinte. Und jeder wartete darauf, was sie weiter dazu sagen würde. Korber warf einen Blick auf den anderen Tisch hinüber zu Oskar Fürst. Er fuhr sich mit der einen Hand durchs Haar, fingerte mit der anderen nervös an seinem Glas herum und schaute auf die Tischplatte hinunter, so als wolle er jeden Augenkontakt vermeiden.
Der Wein zeigte bei Olga eine erste, befreiende Wirkung. »Jeder glaubt, ich habe ihn gehasst wegen damals«, redete sie weiter. »Natürlich war es gemein und entwürdigend. Aber ich habe mir gesagt: Er ist ein kleiner Junge, Olga, nicht mehr als ein kleiner Junge. Er hat eben so verdammt gern bei den Schweinereien zugesehen, und am liebsten war ihm, wenn es für die anderen richtig peinlich war – weil er auch körperlich wieder zum kleinen Jungen geworden war. Weil er einfach nicht mehr konnte.«
Olga bekam einen kurzen, strafenden Blick von Lacroix. Doch anstatt von nun an jedes ihrer Worte auf die Waagschale zu legen, sprach sie erneut dem Wein zu.
»Er war am Ende impotent, mein lieber, guter Georg«, sagte sie. »Dadurch hat er seine Befriedigung nur noch aus den kleinen Gemeinheiten erhalten, die er an uns allen praktiziert hat. Aber er war klug genug zu wissen, dass ich nach wie vor mein körperliches Vergnügen brauchte. Er
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