Karambolage
immer schön, wenn man sieht, dass sich wieder einmal ein junger Mensch für das Karambole-Spiel interessiert und ein wenig an sich arbeiten will. Sie sind Lehrer am hiesigen Gymnasium? Sehr gut. Da bringen Sie ja sogar den Hintergrund für unsere ursprünglichen Prinzipien mit. Kurt wird Ihnen sicher schon einiges erzählt haben.«
Korber nickte und erhielt als Belohnung von Papp einen Überblick über die bisherigen mageren kulturellen Aktivitäten des Klubs. Dazu kamen Seitenhiebe auf Fellner und das mangelnde Verständnis vieler Mitglieder für die Geschichte, Entwicklung und die landschaftlichen Besonderheiten Floridsdorfs: »Kulturspaziergänge, Musik- oder Diskussionsabende – welche Vielfalt hätten wir außer unserem geliebten Billardspiel anbieten können. Leider haben wir uns bis jetzt viel zu selten die Zeit dafür genommen. Unsere gemeinsamen Treffen beim Heurigen sind so ziemlich das Einzige, was uns geblieben ist. Aber nicht einmal bei solchen Gelegenheiten wird es gerne gesehen, wenn wir ein schönes Lied auf unseren Bezirk anstimmen.« Mit etwas unterdrückter Stimme fügte er hinzu: »Nun, jetzt da unser Georg tot ist, könnten wir vielleicht versuchen, unserem Namen ›Alt-Floridsdorf‹ wieder gerecht zu werden. Könnten Sie uns da nicht mit der einen oder anderen Idee behilflich sein? Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass ich einer der Gründerväter …«
Und so weiter und so fort. Korber ließ das Gelabere über sich ergehen und nickte immer einmal wieder. Sein Kopf war seltsam leer, und alles, was drohte, ihn mit irgendwelchen Inhalten anzufüllen, wurde von seinem Immunsystem sofort ausgestoßen. Es fiel ihm immer schwerer, in dieser Runde durchzuhalten.
Inzwischen hatte Olga nach einer kleinen Zwangspause ein neues Opfer gefunden: ihren Neffen Oskar.
»Wie du heute wieder aussiehst«, schnauzte sie ihn an. »Wenn man in deine Augen schaut, könnte man meinen, du hast die Nacht durchgedreht. Wo warst du denn?«
Oskar zog es vor, nicht darauf zu antworten. Er nahm ein Taschentuch und schnäuzte sich hinein.
»Du sollst antworten, wenn dich deine Tante etwas fragt«, beharrte Olga und schüttelte den Kopf. »So ein verstockter Junge. Wie sieht es denn mit seinen schulischen Leistungen aus, Herr Professor?«
Einerseits war Korber froh, aus seinem einseitigen Gespräch mit Papp herausgerissen worden zu sein, andererseits wollte er sich jetzt nicht von Olga Fellner ins Verhör nehmen lassen. »Ich kann Ihnen dazu leider keine Mitteilung machen. Erstens unterrichte ich die Klasse nicht, und zweitens darf ich nur den Erziehungsberechtigten darüber Auskünfte erteilen«, antwortete er ausweichend.
»Ich möchte ja nur eine ganz einfache Antwort haben, Professor«, ließ Olga nicht locker. »Besucht er die Schule regelmäßig, oder kommt er, wann es ihm gerade beliebt? So etwas dürfen Sie mir doch sagen, oder?«
Korber zögerte. Er hatte diese Hartnäckigkeit befürchtet.
»Keine Angst, ich weiß, dass er ein garstiger Junge ist«, sagte Olga. »Ich weiß auch, dass sein lieber verstorbener Onkel einen großen Teil der Schuld daran trägt. Dennoch möchte ich wissen, ob es wirklich so schlimm um ihn steht, wie sein Vater immer behauptet.«
Oskar stand auf.
»Du bleibst jetzt hier, wenn deine Tante mit deinem Lehrer über dich spricht«, fuhr Olga ihn an.
»Ich bin verkühlt, Tante Olga«, presste Oskar hervor. »Deshalb war ich auch die letzten Tage nicht in der Schule.« Damit versuchte er, an Olga vorbei in Richtung Toilette zu huschen. Die hielt ihn am Arm fest.
»Warum bist du dann hier und nicht schön brav zu Hause im Bett? Öffne deine Hand«, forderte sie ihn auf. »Zeig mir, was du in deiner Hand versteckt hast.« Aber Oskar riss sich los und war mit Riesenschritten weg.
»Zu dumm«, feixte sie. »Ich weiß genau, dass er jetzt wieder eine von diesen Tabletten schluckt. Meine Schwester hat gesagt, ich soll ein bisschen auf ihn aufpassen. Er täuscht eine Verkühlung vor, um einen Grund zu haben, eine Tablette zu nehmen. Na ja. Aber wenn der eigene Vater eine Apotheke hat, kommt man ja leicht ran an die Dinger.«
Apotheke, dachte Korber. Da schau her. Max Fürst gehört eine Apotheke. Er erinnerte sich wieder, es irgendwo in einem Schülerkatalog gelesen zu haben.
»Und Alkohol trinkt er auch bereits«, musste er sich von Olga anhören. »Heute nicht, denn da bin ja ich da, aber sonst … Deshalb müssen Sie verstehen, dass ich mich über seinen Leistungsfortgang
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