Karas Reich
stehenblieb.
»Sie sind da!« Er konnte sich nicht mehr halten, ging einen Schritt weiter und fiel nach vorn. Zum Glück stand Kara so nah, daß er seine Arme um sie klammern und sich festhalten konnte, sonst wäre er auf das Gestein geschlagen.
Obwohl die Zeit drängte, übereilte Kara nichts. Kruti mußte erst wieder zu Atem kommen. Sie schaute sich derweil um und sah auch in die schmalen Gassen zwischen den Häusern, die sich dem Betrachter öffneten wie dunkle Tunnels.
Sie wartete…
Niemand kam aus einem dieser Durchlässe hervor. Als Verstecke waren sie ausgezeichnet.
Sie schaute auch zum Himmel hoch.
Die Nacht war noch nicht angebrochen, selbst die Dämmerung nicht, trotzdem zeigte der Himmel ein düsteres Zwielicht, in dem sich das Grauen einen Platz gesucht zu haben schien, von wo es dann plötzlich und brutal zuschlagen konnte.
Kara kannte die Tricks des Schwarzen Tods. Nicht zum erstenmal wäre er mit seinem mächtigen Reittier aus den Wolken gekommen, um die Menschen niederzumachen.
Bisher waren hinter den Wolken noch keine Bewegungen zu erkennen.
Nur die Gebilde selbst bewegten sich, aber jenseits davon lauerte eine schreckliche Totenwelt, wie sie nur das finsterste Mittelalter hätte hervorbringen können.
Aber die Finsternis nahm zu. Auch der Wind verstärkte sein Heulen. Es umtönte die einsame Kara wie eine klagenreiche Totenmelodie aus fernen Welten.
Kruti bewegte sich wieder.
Er hatte sich etwas erholt. Als er aufstand, hörte Kara sein Keuchen. Er mußte sich noch immer festhalten, und Kara wußte nicht, ob vor Angst oder vor Schwäche. Sie half ihm dabei, auf die Beine zu kommen, und er blieb zitternd vor ihr stehen, den Mund weit offen, die Augen verdreht.
Auf seinem Gesicht lag eine Maske der furchtbaren Erinnerung.
Eigentlich hatte sie ihm zulächeln wollen, aber die Furcht auf seinem Gesicht ließ sie stocken. Er mußte etwas Schreckliches gesehen haben und war erst jetzt in der Lage, darüber zu sprechen. »Man hat mir berichtet, daß sie dort waren, wo sich das Bild befand. Sie haben deine Spur aufnehmen können, du hast sie ihnen gezeigt. Sie haben gemerkt, daß du gekommen bist. Niemand hat etwas gesagt. Du selbst mußt diese Aura hinterlassen haben, Kara…«
»Und weiter?«
»Sie zerstörten alles und töteten.«
Karas Gesicht wurde hart. »Wen brachten sie um? Gallas?«
»Nein, ihn nicht. Nur den Weisen, der tief in einer Höhle lebt. Man kann sie von unserem Versteck aus betreten. Ihn haben sie umgebracht, aber sie bekamen das Bild nicht.«
»Wo war es?«
»Schon weg. Gallas wird es fortgeschafft haben. Er… er hat rechtzeitig genug gehandelt. Das Bild wird uns bleiben, glaube ich. Ja, das Bild muß bleiben.«
Kara nickte. »Dann sind sie schon hier. Ich werde ihnen entgegengehen. Ich will den Schwarzen Tod stellen.«
»Nein, nein, das darfst du nicht!« Kruti sprach voller Hektik. »Du mußt auf sie warten. Sie wissen doch, wo du dich befindest, Kara. Sie werden herkommen.«
»Und bis dorthin sind viele Menschen unter ihren grausamen Waffen gestorben, wie?«
»Sie wollen dich!« keuchte Kruti. »Sie wollen die Königin. Der Schwarze Tod will sie. Er braucht dieses Land. Er will mehr, immer mehr, weißt du das denn nicht?«
Er löste sich von Kara und ging schwankend einige Schritte zurück.
Der Wind heulte plötzlich auf, als hätte ein gewaltiges Tier die Wolken verlassen. Das lenkte Kara ab. Sie schaute noch zum Himmel und sah den immensen Riß, der die normale Wolkenformation zerteilt hatte.
Dahinter war es nicht mehr so düster. Dort zeichnete sich eine hellgraue Fläche ab, in der auch eine Bewegung entstand, um die Kara sich nicht kümmern konnte, denn ein schriller Wehlaut ließ sie nach vorn blicken.
Dort stand Kruti.
Er schaute sie immer noch an, auch wenn er schwankte. Seine Arme waren vom Körper abgespreizt, doch dort, wo das Herz saß, schaute etwas Langes, Spitzes hervor.
Das Ende eines Pfeils.
Und Kara wußte, daß er nur aus einer der Gassen abgefeuert worden sein konnte.
Kruti brach zusammen.
Im selben Augenblick hörte sie über sich ein gewaltiges Donnern, hob den Kopf und entdeckte auf der freien Himmelsfläche eine furchtbare Gestalt.
Es war der Schwarze Tod!
***
Und er war nicht allein, denn er hockte auf einem mächtigen, urzeitlichen Tier, wie es nur in der Hölle hatte geformt werden können. Ein Tier mit mächtigen Flügeln, einem relativ schmalen Kopf und einem langen, spitzen Schnabel, der weit aufgerissen war und bei
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