Karas Reich
hörte ein leises Klicken und kam sich im nächsten Augenblick vor wie ein kleines Mädchen, das große Augen bekommt, wenn es plötzlich vor dem erleuchteten Weihnachtsbaum steht.
An verschiedenen Stellen glühten Lampen auf, die ein sehr weiches Licht nicht nur in den Raum hineinwarfen, sondern auch die zahlreichen Bilder streiften.
Erst jetzt war ihr klargeworden, wo sie sich befand. In einer Ausstellung, und die wiederum fand wahrscheinlich in einem Museum oder einer entsprechenden Umgebung statt.
Bilder also. Auch sie war gemalt worden.
Gedanken wirbelten durch ihren Kopf, trafen zusammen, fanden sich zu Schlußfolgerungen, aber sie wollte nicht vorgreifen und sich jedes einzelne Bild aus der Nähe anschauen.
Kara ging an der Seite weiter, an der sie sich auch aufhielt. Sie bedachte jedes Bild mit einem flüchtigen Blick. Die Motive zeigten zumeist Landschaften, die ihr zwar nicht unbekannt waren, von denen sie allerdings nicht hätte sagen können, wo diese Landschaften in der Natur zu finden waren.
Jedenfalls paßten sie in eine Gegend, die man nicht als mitteleuropäisch ansehen konnte, sondern mehr dem Süden zuzuordnen war. Kreta, Malta, Sizilien, Inseln im Mittelmeer.
Kara dachte nach.
Auch Atlantis war eine Insel gewesen.
Gab es Parallelen? Hatten diese Bilder indirekt etwas mit ihrer Heimat zu tun? War in diesem Museum etwa eine Ausstellung veranstaltet worden, die in einem unmittelbaren Zusammenhang zu Atlantis stand? Es war nicht von der Hand zu weisen, denn Kara wußte, daß zahlreiche Atlanter den großen Untergang überlebt hatten. Sie hatten später woanders ihr Leben weitergeführt, in Ägypten, Kreta oder Griechenland. Hatten auch mitgeholfen, die Kulturen zu beeinflussen, und ihr Blut hatte sich mit dem anderer Völker gemischt, war aber nie ganz verschwunden, denn das Blut der alten Rasse hielt sich weiter.
Wer seinen Ursprung aus Atlantis ableiten konnte, würde es irgendwann einmal merken. In der letzten Zeit waren diese Phänomene öfter aufgetreten, normale Menschen hatten von einem tief in ihnen verborgenen Wissen erfahren.
Sie hatten sich dann offenbaren wollen, und so war es eben zu diesen Bildern und Zeichnungen gekommen, mit denen sie ihre Erinnerungen hatten aufarbeiten wollen.
Bilder aus Atlantis…
Kara sah sie jetzt mit anderen Augen. Sie ließ sich Zeit dafür, blieb vor jedem Gemälde länger stehen und suchte nach Einzelheiten, die ihr bekannt waren.
Auf ihrer Haut hatte sich ein Schauer gebildet. In den Augen lag eine dunkle Glut.
Ja, sie kannte da einige Dinge.
Die Halbinsel, zum Beispiel, die wie eine krumme Zunge ins Meer hinausragte. Der Maler hatte sie gut getroffen und die anlaufenden Wellen sehr hell markiert. Er hatte auch einen Himmel gezeichnet, der über dem Küstenstreifen wie eine düstere Welt schwebte, die vorhatte, eine andere zu erdrücken.
Und am Himmel – der Betrachter mußte schon genau hinschauen – schimmerte eine schwarze Skelettfratze.
Da lauerte der Schwarze Tod im Hintergrund.
Auch an ihn hatten sich die Künstler erinnert. Zum Puzzle war also wieder ein kleiner Stein hinzugefügt worden.
Kara wandte sich nach rechts, der schmaleren Wand zu, wo sich auch die breite Tür mit den zwei Flügeln befand. Kara drückte die Klinke und stellte fest, daß sie offen war.
Sie verließ den kleinen Saal aber nicht, denn weitere Bilder warteten darauf, von ihr entdeckt zu werden. Sie dachte sogar an ein bestimmtes, obwohl sie dafür noch keinen Beweis hatte.
Sie ging jetzt schneller und schaute sich die einzelnen Bilder nicht mehr so genau an. Das innerliche Fieber konnte sie nicht abstellen, es steigerte sich noch, und sie spürte, wie das Blut hinter ihren Schläfen hämmerte.
In diesem Raum existierte ein Ziel, das ausschließlich für sie gedacht war.
Ein Bild sonderte sich von den anderen allein durch seine Größe ab. Es war viel länger, auch breiter, und Kara betrachtete es näher.
Sie schloß die Augen, sah wieder hin, aber es verschwand nicht. Es hing an dieser Stelle an der Wand, als wäre sie dafür ausgesucht worden.
Das Bild zeigte Kara, und sie hatte es zum erstenmal vor mehr als zehntausend Jahren in Atlantis gesehen…
***
Jetzt aber hing es hier.
Kara schluckte. Sie hörte sich selbst zischelnd atmen. Sie wollte denken, war aber nicht in der Lage, denn zahlreiche Gedanken irrten durch ihren Kopf.
Das war es.
Sie schüttelte den Kopf. Ein verschollenes Bild, ein Gemälde, von dem sie nicht einmal etwas gewußt
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