Kardinal vor La Rochelle
versicherte ihn außerdem, daß der Chevalier, falls Lord Montagu in
Frankreich Schwierigkeiten haben sollte, seine Münzen mit dem Bildnis Karls I. umzusetzen, angewiesen sei, ihm zu leihen,
was er benötige. Also, Fürsorge und Zuvorkommenheit noch und noch.
Von so viel Rücksichten gerührt, ließ sich Lord Montagu »un sere wunderbare französische Küche« weidlich munden und trank allein eine ganze Flasche Wein. Er war aber ein so harmlos hinterlistiges
Getränk nicht gewöhnt, fühlte sich am Ende der Mahlzeit etwas schläfrig und bat, sich zurückziehen zu dürfen.
»My dear Duke
«
, sagte er,
»I’m afraid I am as drunk asa Lord.«
1
Ich lachte, und er lachte auch. Madame de Bazimont erhielt von mir den Auftrag, ihn nach oben zu geleiten, und das war gut,
denn er mußte sich beim Gehen auf ihre Schulter stützen und setzte nur langsam und schwankend Schritt vor Schritt.
|326| Es waren keine fünf Minuten vergangen, als Madame de Bazimont zerzaust, mit rotem Gesicht und wallendem Busen wiederkam.
»Was ist Euch, Madame? Ihr seid ja ganz verstört!«
»Ach, Monseigneur!« ächzte sie. »Der Lord! … Der englische Lord!« (Was, fürchte ich, ein Pleonasmus war.)
»Was war mit ihm?«
»Kaum an der Tür seines Zimmers angelangt, fiel er mir um den Hals und küßte mir wer weiß wie oft das ganze Gesicht ab.«
»Auch den Mund?« fragte ich ernst.
»Ich weiß nicht genau«, sagte Madame de Bazimont schamvoll. »Ich war ganz durcheinander!«
»Das ist ein wichtiger Punkt, Madame. Wenn er Euch nur Wangen und Stirn geküßt hat, ist es Zuneigung. Aber wenn er Eure Lippen
geküßt hat, dann hat er Appetit auf Euch.«
»Ist das die Möglichkeit?« rief Madame de Bazimont, von widersprüchlichen Gefühlen hingerissen.
»Madame«, sagte ich, »bitte, überlegt. Wenn Ihr Euch beleidigt fühlt, muß Lord Montagu als mein Gast mir morgen für seine
Kühnheit einstehen.«
»Um Gottes willen!« rief Madame de Bazimont. »Ein Duell! Ein Duell, und meinetwegen! Das ist doch nicht die Möglichkeit!«
»Madame, ich erlaube mir, meine Frage zu wiederholen: Fühlt Ihr Euch beleidigt?«
»Beleidigt ist nicht das richtige Wort«, sagte Madame de Bazimont. »Die Kühnheit war an sich nicht so schrecklich. Es hat
mich nur getroffen, daß er mich behandelte wie eine Kammerfrau.«
»Ich verstehe, Madame, es geht Euch um den Rang. Ist es andererseits aber nicht auch schmeichelhaft, Madame, daß Lord Montagu
Euch so einer kleinen Schnepfe vorzog, die sich, weil sie zwanzig ist, womöglich schöner dünkt als Ihr?«
»Naja, wenn man die Sache so nimmt«, sagte Madame de Bazimont, »sieht sie gleich anders aus. Monseigneur, Monsieur und Madame
de Clérac, ich bitte Euch, sagt nur Madame de Brézolles nichts davon, wenn Ihr sie wiederseht. Ich möchte doch nicht, daß
sie denkt, ich würde zuchtlos werden.«
Nicolas und ich versprachen es ihr. Henriette aber stand auf, |327| umarmte und küßte sie zur Beruhigung und begleitete sie zu ihrem Zimmer.
»Ich mag diesen englischen Lord nicht besonders«, sagte Nicolas, als er mir beim Auskleiden half.
»Warum denn?« fragte ich. »Was hat er dir getan?«
»Ich finde, er hat Henriette beim Essen ein bißchen zuviel angesehen.«
»Angesehen oder angestarrt?«
»Angestarrt sage ich ja nicht.«
»Aber ist es denn nicht verständlich? Einen Monat war er an Bord von Lord Lindseys Admiralsschiff, wo es nichts zu sehen gab
als einen Haufen struppiger und ungewaschener Matrosen. Nicolas, du wirst doch deswegen nicht eifersüchtig sein?«
»Eigentlich bin ich weniger eifersüchtig als erstaunt.«
»Erstaunt?« fragte ich. »Wieso erstaunt?«
»Weil Engländer nicht dafür bekannt sind, die Frauen zu lieben wie Franzosen und Italiener.«
»Woher hast du denn das? Sie lieben sie genauso, nur zeigen sie es weniger. Keine Bange, Nicolas, England ist nicht vom Aussterben
bedroht.«
»Warum zeigen sie es nicht?«
»Weil sie Protestanten sind. Stell dir mal unsere beiden Rochelaiser Richter vor, wie sie hinter der Tür ihrer Gemahlinnen
einem Kammerkätzchen Süßholz raspeln!«
Nicolas lachte, und plötzlich, ohne Übergang, verfiel er in Traurigkeit.
»Monseigneur«, sagte er, »darf ich etwas fragen?«
»Frage, Nicolas.«
»Ist das Ende der Belagerung nahe?«
»Sehr nahe. Die Engländer ziehen sich zurück, den Rochelaisern bleibt nichts mehr zu hoffen.«
»Arme Rochelaiser! So viel Leid, so viele Tote, und alles umsonst! Aber auch mir ist ganz
Weitere Kostenlose Bücher