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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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werden so verrückt sein, La Rochelle einzunehmen.«
    ***
    In derselben Minute, da wir Chef de Baie verließen, brach ein schweres Gewitter los, aus den schwarzen Wolken drangen eisige
     Wassermassen, grelle Blitze zuckten, und fast unaufhörlich rollte der Donner. Bei diesem gewaltigen Getöse konnte man verstehen,
     daß die Alten geglaubt hatten, der Blitz sei ein göttliches Strafgericht. Doch sollte er dann nicht, anstatt in arme, unschuldige
     Bäume zu fahren, besser die Schurken zerschmettern?
    Trotz unserer Umhänge wurden wir naß bis auf die Knochen, und unsere armen Pferde troffen, rutschten im Schlamm, ließen traurig
     die Köpfe hängen und sehnten sich sicherlich nach ihrem Hafer und einem warmen Stall. Endlich langten wir an, unsere Schweizer
     nahmen die Tiere in ihre Obhut, rieben sie ab und striegelten sie, während die Mäuler in den Raufen steckten und die großen
     Zähne das Heu mahlten, daß es eine Freude war.
    Unserer Würde nicht achtend, legten wir den Weg vom Pferdestall zum Schloß im Laufschritt zurück. Dort empfing uns Monsieur
     de Vignevieille mit aufgeregtem Gekakel wie eine alte Henne und befahl dem Gesinde, uns die Umhänge und Hüte abzunehmen, deren
     durchweichte Federbüsche platt am Filz klebten. Am liebsten hätte Monsieur de Vignevieille uns ja aufgefordert, unsere Stiefel
     auszuziehen, um seine Teppiche zu schonen, und er war heilfroh, als mein Vater, der seine Besorgnis erriet, die seinen ablegte
     und uns damit ein Beispiel gab. So erstiegen wir denn auf Strümpfen einer nach dem anderen die große Treppe zur Beletage,
     jeder vor sich einen Diener mit den tropfenden Stulpenstiefeln. Ich schämte mich ein bißchen, so am Bildnis der schönen Ahnfrau
     vorüberzugehen, deren Augen mir geringschätzig nachblickten, aber in Wahrheit fürchtete ich vor allem, auf dem Weg zu meinem
     Zimmer in diesem lächerlichen Aufzug Madame de Brézolles zu begegnen.
    |89| Luc, mein Diener – der Leser hat sicherlich nicht vergessen, weshalb Madame de Brézolles mir einen Diener zugeteilt hatte
     und nicht eine Kammerzofe –, erbat die Erlaubnis, meine Stiefel ins Nachtgeschirr auszugießen. Verblüfft, welche Menge Wasser
     da zusammenkam, dachte ich, daß diese Stiefel, so schmuck sie auch aussahen und so bequem sie saßen, doch den großen Nachteil
     hatten, mit ihren Stulpen allzuviel Regen aufzufangen.
    Während ich dies schreibe, fällt mir auf, wie hartnäckig unsere Erinnerung sich an Nebensächlichkeiten wie diese heftet, die
     mir vermutlich aber nur deshalb auftauchen, weil ihnen ein wichtiges Gespräch in meinem Zimmer folgte.
    Sobald Luc mich platschnaß vom Stall zum Schloß hatte laufen sehen, hatte er das Gerüst aus trockenem Reisig und Scheiten
     angezündet, das er in meinem Kamin stets bereithielt, so daß ich mich mit seiner Hilfe vor prasselnden Flammen entkleiden
     konnte, deren bloßer Anblick bereits das Herz erwärmte. Er trocknete mich, rieb mich mit einer Bürste warm und half mir in
     die frischen, nach Lavendel duftenden Kleider. Natürlich hätte ich mich bei alledem lieber den Händen einer Jeannette oder
     einer Louison anvertraut, doch gab es an der wahrhaft mütterlichen Fürsorge, die Luc mir angedeihen ließ, nichts auszusetzen.
    Dieser Zartsinn verwunderte bei dem stämmigen brünetten Mann mit dem breiten Kinn und der großen Nase, dafür vermochte er
     aber seine laute Stimme beim besten Willen nicht zu dämpfen.
    »Herr Graf«, bemühte er sich zu murmeln, daß man es zehn Klafter weit hörte, »Monsieur de Vignevieille hat die Küche angewiesen,
     Eurem Herrn Vater und Euch einen Krug Glühwein zu bereiten.«
    »Wie liebenswürdig!« sagte ich. »Richte Monsieur de Vignevieille meinen Dank aus, doch ließe ich bitten, er möge auch einen
     Krug für Monsieur de La Surie und Monsieur de Clérac bereiten lassen, und wenn der Wein fertig ist, Luc, bitte die Herren,
     mich hier aufzusuchen, damit wir uns von dem gemeinsam durchgestandenen Unwetter gemeinsam erholen.«
    »Herr Graf«, sagte Luc und vermeinte zu raunen, »darf ich fragen, welche der Herren Ihr zu empfangen wünscht?«
    »Du kennst sie doch: Monsieur de Siorac, Monsieur de La Surie und Monsieur de Clérac.«
    |90| »Sehr wohl, Herr Graf«, sagte Luc, bevor er verschwand, »dann hatte ich Euch recht verstanden.«
    Wie komisch, dachte ich, daß er erst nachfragen mußte. Offenbar hatte er bezweifelt, ob Nicolas, der zwar adlig war, aber
     keinen Titel hatte und für seinen Dienst

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