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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Marschall hielt mit
     beiden Händen einen Becher, aus dem er vorsichtige kleine Schlucke trank, so brannte ihn der heiße Wein auf der Zunge.
    »Monsieur Métezeau«, sagte ich, nachdem auch ich dem stärkenden Getränk zugesprochen hatte, »täusche ich mich in dem Eindruck,
     daß der Deichstumpf, der von Chef de Baie ausgeht, nicht genau dem von Coureille ausgehenden gegenüberliegt?«
    »Euer Eindruck ist richtig, Herr Graf«, sagte Métezeau, »und die Verschiebung ist beabsichtigt. Sie ist Teil des von Monsieur
     Thiriot und mir erarbeiteten Plans. Die Stümpfe sollen in der Tat nicht im genauen Gegenüber enden, um die Durchfahrt durch
     die dreißig Klafter breite Passage in der Mitte zu erschweren. Schiffe, die vom Meer kommen und in die Bucht einlaufen wollen,
     werden auf die Weise gezwungen, eine S-Kurve zu vollführen, was selbst bei ruhigem Wetter eine schwierige Sache ist, denn
     es müssen in ganz kurzer Frist die Segel umgesetzt werden, und es fragt sich, ob ein großes Schiff genug Platz, Zeit und auch
     noch eine günstige Brise findet, ein so heikles Manöver auszuführen, wenn es unterm Feuer unserer Kanonen liegt.«
    »Der Deich wird also mit Kanonen besetzt?«
    »Unbedingt, Herr Graf. Außerdem wird jedem Endstück der Passage zum Meer hin eine lotrecht zum Deich gebaute Mole vorgelagert.
     Von diesen beiden, ebenfalls mit Kanonen besetzten Molen kann jedes Schiff beschossen werden, das sich durch die Passage zu
     schlängeln versucht. Im übrigen werden wir vor dem Deich seewärts mehrere Palisaden errichten, die einer feindlichen Flotte
     bereits die Annäherung beträchtlich erschweren.«
    |124| »Woraus werden diese Palisaden bestehen?«
    »Aus dicken Pfählen, in versetzter Anordnung, die tief in den Schlick gerammt und durch Ketten verbunden sind.«
    »Kann ein Sturm sie nicht leicht zerstören?«
    »Nein, Herr Graf, weil es zwischen den Pfählen Abstände gibt, die das Wasser hindurchlassen. Zum anderen vermindern die Palisaden
     auch die Kraft der Wogen ein wenig und schützen damit wiederum den Deich. Herr Marschall«, fuhr er fort, »Euer Becher ist
     leer. Wünscht Ihr, daß er wieder gefüllt wird?«
    Schomberg ließ sich einschenken, und ich auch, um den Marschall nicht allein trinken zu lassen, das hätte seine grantige Laune
     nur verstärkt. Denn es war offensichtlich: Schomberg glaubte nicht an die Nützlichkeit des Deiches. Er mochte diese Ingenieure
     und Baumeister nicht, die den Soldaten und ihren Kommandeuren durch mechanische Mittel den Sieg rauben wollten. Scheinheilig
     klagte er um das Geld, das diese, wie er meinte, nutzlosen Arbeiten verschlangen. Der Krieg gegen La Rochelle sollte von Soldaten
     gewonnen werden und nicht von geschichteten Steinen.
    Während ich meinen zweiten Becher Wein trank, blickte ich abwechselnd auf Métezeau und Thiriot. Fragen brannten mir auf den
     Lippen, die ich aber in Anwesenheit Schombergs nicht stellen wollte, damit er die Antworten nicht im Feldlager verbreite.
     Als das Schweigen anhielt, begriff Thiriot meine Blicke und meine Zurückhaltung und wandte sich an Schomberg.
    »Herr Marschall«, sagte er, »wir haben im Oberstock ein Fenster, von dem man den gesamten Bau überschauen kann. Wollt Ihr
     einen Blick darauf werfen?«
    »Danke«, sagte Schomberg, die Nase im Becher, »ich habe genug gesehen.«
    Derselbe Vorschlag wurde mir gemacht, und ich nahm ihn an. So stiegen denn Métezeau, Thiriot und ich die Treppe hinauf, und
     weil die Treppe sehr schwankte, gingen wir auf Zehenspitzen und ohne zu reden, als ob sich dadurch unser Gewicht verringere.
    »Meine Herren«, sagte ich, nachdem ich kurz aus dem Fenster geschaut hatte, »es freut mich, Euch vertraulich zu sprechen.
     Zuerst sollt Ihr wissen, daß ich keine Vorurteile gegen den Deich hege, ganz im Gegenteil, er scheint mir bewundernswert erdacht
     und ausgeführt. Nachdem ich Euch nun versichert habe, |125| daß ich Eurem Werk in keiner Weise feindlich gesinnt bin, erlaubt mir die Frage: Was wird der Deich nützen?«
    Hierauf herrschte eine Weile Schweigen, Métezeau und Thiriot verständigten sich mit Blicken, dann entschloß sich Métezeau
     zu antworten.
    »Herr Graf«, sagte er ernst, »auf Eure Frage gibt es mehrere Antworten. Die erste und vielleicht wichtigste ist, denke ich,
     die: Seit Buckingham die Insel Ré besetzt hatte, von der die Engländer nur schwer zu vertreiben waren, hat der Herr Kardinal
     eine bewunderungswürdige Energie entfaltet, um den König mit

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