Kardinal vor La Rochelle
beschützten.
»Herr Graf«, sagte Nicolas, das Gesicht regenüberströmt, »wie kommt es, daß Ihr als Königlicher Rat kein Anrecht auf einen
Wagen habt?«
»Weil das Karossenfahren in Anbetracht der verstopften Straßen im Lager nur dem König, dem Kardinal, den Marschällen und dem
Herzog vorbehalten ist.«
»Dann geb’s der Himmel«, sagte Nicolas, »daß der König Euch bald zum Herzog macht.«
»Amen«, sagte ich wie jedesmal, wenn mir dieser Titel in den Sinn kam. Insgeheim fand ich, daß Ludwig mich ein bißchen sehr
tantalisierte.
Ich fand den König nicht in Aytré – er war, wie Du Hallier mir sagte, zur Inspektion des Hafens gefahren, den Bassompierre
bei Fort Louis erbauen ließ. Zum Glück entsann ich mich, daß Du Hallier vom König jüngst zum Feldmeister unter Bassompierre
ernannt worden war.
»Herr Feldmeister«, sagte ich, wobei ich seinen neuen Titel schnurren ließ, daß es den Mann wohlig überlief, »beliebt Seiner
Majestät auszurichten, daß ich, meinen Auftrag betreffend, einen schriftlichen Bericht abfassen und ihm morgen überreichen
werde, und sollte ich die ganze Nacht daran sitzen.«
Über dieses »die ganze Nacht« lachte Nicolas in sich hinein. Ich wartete aber mit der passenden Antwort, bis wir im Sattel
saßen.
»Zum Teufel, Nicolas!« sagte ich, »weißt du nicht, daß es am Hof nicht ausreicht, seine Sache gut zu machen, sondern daß man
es auch bekanntmachen muß, und zwar so laut und vernehmlich, daß jeder es versteht?«
***
Am Abend freute ich mich, den kleinen Salon wiederzusehen, wo Madame de Brézolles und ich so oft vertraut beim Tee geplaudert |128| hatten. Er war mir zu Ehren festlich mit parfümierten Kerzen erleuchtet, und in dem großen Kamin brannte ein prächtiges Feuer.
Verwundert indes, daß Luc bei meiner Ankunft nicht herbeigeeilt war, mich von meinen schlammigen Stiefeln zu befreien, rief
ich in die Kulissen, und kurz darauf erschien ein lichtblondes Kind, das mir sanft, aber gar nicht schüchtern sagte, sie heiße
Perrette und sei angewiesen worden, mir fortan zu Diensten zu sein.
Ich war baff, und während das Mädchen mir die Stiefel mit einer Kraft und Geschicklichkeit, die ich von ihr nicht erwartet
hätte, von den Füßen zog, fragte ich sie, wo zum Teufel Luc denn sei. Da richtete sie ihre süßen blauen Augen auf mich und
sagte seufzend, sie wisse es nicht, sie habe ihn den ganzen Tag nicht im Schloß gesehen.
Dann holte sie aus meinem Zimmer reine Strümpfe und Schuhe, so daß dem Teppich keine Gefahr mehr drohte. Ich verlangte Madame
de Bazimont zu sprechen, worauf Perrette mir einen tiefen Knicks machte, der mir reiche Einsicht bot, ihr Dekolleté war nicht
angetan, Betrachter zu entmutigen. Und anmutig, mit schwingenden Hüften entfernte sie sich, wohl wissend, daß meine Augen
ihr folgten.
Offen gestanden, Leser, abgesehen von diesem fast mechanischen Blick, wußte ich nicht, was ich glauben oder denken sollte.
Aufs erste sah es so aus, als hätte Madame de Brézolles mir bei ihrer Abreise mit Perrette ein Geschenk machen wollen, damit
ich in ihrer Abwesenheit nicht wie ein Mönch in seiner Zelle darben müsse. Wenn das aber eine Großzügigkeit war, nahm sie
mir gewissermaßen mit der einen Hand, was sie mit der anderen gab, denn was sie mir nahm – meinen Glauben, daß sie etwas für
mich empfände –, hatte tausendmal mehr Gewicht als das Geschenk, das mich über ihre Abwesenheit trösten sollte.
Ich drehte und wendete die Sache in meinem Kopf, kam aber zu keinem Schluß: Wie konnte Madame de Brézolles, die sich wegen
meiner Neigung für das
gentil sesso
so argwöhnisch gezeigt und mir statt einer Kammerfrau einen Kammerdiener gegeben hatte, mir gegenüber auf einmal so gleichgültig
geworden sein, daß sie Luc durch ein dermaßen anziehendes Wesen wie Perrette ersetzte?
In dieser Unsicherheit und Verwirrung steckte ich, als gemessenen |129| Schrittes Madame de Bazimont erschien, mir eine halbe Reverenz machte, denn ihre alten Knie erlaubten ihr keine ganze, und
mich versicherte, daß sie mir ergebenst zu Gebote stehe.
»Madame«, sagte ich, »wie kommt es, daß Luc nach der Abreise von Madame de Brézolles durch Perrette ersetzt worden ist? Hatte
Eure Herrin das angeordnet?«
»Aber nein, Herr Graf. Madame konnte doch nicht voraussehen, daß Luc heute morgen hohes Fieber haben würde mit Husten und
Schwäche.«
»Armer Luc! Habt Ihr ihn behandeln
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