Kardinal vor La Rochelle
lassen?«
»Selbstverständlich, Herr Graf«, sagte Madame de Bazimont. »Wir hier gehören nicht zu den Häusern, die einen Bediensteten,
wenn er krank wird, ohne viel Federlesens auf die Straße setzen. Jeder, der auf Brézolles leidet, und sei es der letzte Stallknecht,
kann versichert sein, daß Madame de Brézolles sofort einen Arzt für ihn ruft und daß sie den Arzt wie die verordneten Arzneien
bezahlt. Und das habe ich an ihrer Statt getan.«
»Was hat der Arzt gesagt?«
»Ach«, sagte Madame de Bazimont, »das war Latein, das habe ich nicht verstanden.«
»Und was hat er gemacht?«
»Er hat Luc zur Ader gelassen und auf Diät gesetzt.«
»Also ist er doppelt geschwächt«, sagte ich, mich der Lehren meines Vaters entsinnend. »Madame de Bazimont, ich möchte Luc
sehen.«
»Aber, Herr Graf, ich wage mich nicht in die Kammer des armen Burschen, sonst steckt mich die Luft dort noch mit seiner Krankheit
an.«
»Madame«, sagte ich, »Ihr müßt sie auch nicht betreten. Führt mich nur hin, in die Kammer gehe ich allein.«
»Um die Wahrheit zu sagen, Herr Graf, fürchte ich, Madame de Brézolles wird mir zürnen, wenn ich das tue, denn sie hat mir
aufgetragen, gut auf Euch achtzuhaben.«
»Wie liebenswürdig von ihr«, sagte ich und verbarg nur mit Mühe meine tiefe Freude. »Da ich mich in Abwesenheit der Hausherrin
aber nicht nur für die Sicherheit des Schlosses verantwortlich fühle, sondern auch für alles, was sich hier tut, bitte ich
Euch, Madame, meinem Wunsch zu willfahren.«
|130| »Herr Graf«, sagte Madame de Bazimont, beglückt, so höflich zum Gehorsam genötigt zu werden, »beliebt zu glauben, daß ich
Euch ergebenst zu Diensten bin.«
Hierauf hieß sie den Pagen einen Leuchter nehmen und erstieg mit kleinen Schritten, nicht ohne Umständlichkeit und einiges
Schnaufen, die steile Treppe zum Dachgeschoß, wo das Gesinde hauste. Bei dem Lärm, den wir drei verursachten, schauten auf
dem Gang rechts und links hübsche Gesichter aus den Türen, doch verschwanden die Köpfe auf die weniger strenge als mütterliche
Ermahnung von Madame de Bazimont hin: »Na na, ihr Mädchen!«, doch wette ich, daß die Ohren an den Schlüssellöchern hingen.
Madame de Bazimont klopfte an die letzte Tür auf dem Gang, öffnete sie, ohne ein Herein abzuwarten, und ließ den Pagen und
mich eintreten, während sie vor der Schwelle wartete, ein Spitzentüchlein vor den Mund gepreßt.
Das Kämmerchen war reinlich, aber eiskalt, es hatte nicht einmal eine Feuerstätte. Luc lag mit gerötetem Gesicht da, und seine
Stirn fühlte sich heiß an, aber seine Glieder schlotterten nicht. Ich bat ihn, sich aufzudecken, und stellte erleichtert fest,
daß sein Körper keinerlei Pestbeulen aufwies.
»Nun, Luc«, sagte ich, »so schlecht geht es dir ja nicht.«
»Meint Ihr, Herr Graf?« sagte Luc, der sich schon auf dem Totenlager wähnte.
»Ich denke nicht. Hast du Appetit?«
»Ein wenig, Herr Graf, aber auf Anordnung des Doktors bekomme ich nichts zu essen.«
»Hast du Durst?«
»O ja, Herr Graf.«
»Frierst du?« fragte ich, denn ich sah, er hatte nur eine Pferdedecke.
»Ein wenig, Herr Graf. Es zieht sehr kalt durch meine zerbrochene Fensterscheibe.«
»Madame«, sagte ich, indem ich mich zu Madame de Bazimont umwandte, »ab jetzt erhält Luc morgens und abends eine kräftige
Gemüsesuppe, und am besten gleich.«
»Aber der Arzt hat es verboten«, sagte sie.
»Das Verbot übertreten wir«, sagte ich streng. »Dazu bekommt Luc dreimal am Tag heißen Kräutertee. Und unverzüglich braucht
er eine zweite Decke, und noch heute muß seine |131| zerbrochene Scheibe ersetzt werden, und sei es durch ein Stück Karton.«
»Die Scheibe hat er doch selber zerbrochen«, sagte Madame de Bazimont rechthaberisch, »kein Wunder, daß er sich erkältet hat.«
»Dafür ist er genug gestraft«, sagte ich. »jede Sünde bedarf des Erbarmens, Madame.«
»Herr Graf«, sagte Madame de Bazimont, kokett aufseufzend, »ich möchte nicht, daß Ihr mich für unbarmherzig haltet.«
»Meine Beste«, sagte ich milde, »ich bin gewiß, Ihr seid das ganze Gegenteil.«
Daß ich sie vor Luc und dem Pagen »meine Beste« nannte, machte sie überglücklich.
»Ich werde Luc ein wenig Jesuitenpulver geben, das sein Fieber senkt«, fuhr ich fort. »Sollte es morgen trotzdem anhalten,
dann bitte ich den ehrwürdigen Doktor Fogacer, Domherr von Notre-Dame zu Paris, unseren Kranken zu besuchen.«
»Ein Domherr
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