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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Kardinal ein finsteres Gesicht.
    Nachdem er Richelieu und mich eine Zeitlang diesem unbehaglichen Schweigen ausgesetzt hatte, tat er endlich den Mund auf.
    »Was ist, Orbieu?« sagte er harsch. »Worauf wartet Ihr? Fangt an!«
    Es war eine Anrede, daß mir der Schnabel gefror. Frostig nannte er mich »Orbieu« und nicht wie seit Kinderzeiten herzlich
     »Sioac«. Und er warf mir vor, nicht zu reden, hatte mir aber gar nicht das Wort erteilt.
    Hier stieß Richelieu, ohne mich irgend anzublicken, einen leisen Seufzer aus, als wollte er mir zu verstehen geben, daß ich
     nicht der einzige sei, der unter der Laune des Königs litt, und ermutigte mich durch ein kleines Kopfnicken zu sprechen.
    »Ihr wackelt mit dem Kopf, mein Cousin!« sagte Ludwig böse. »Fühlt Ihr Euch zu alt oder zu schlecht, diese Belagerung länger
     durchzustehen?«
    »Keineswegs, Sire«, sagte Richelieu mit engelhafter Demut. »Ich fühle mich, Gott sei Dank, recht leidlich. Und sollte die
     Belagerung zehn Jahre dauern wie die von Troja, und Ihr würdet befehlen, sie fortzusetzen, so würde ich gehorchen.«
    Hierauf antwortete Ludwig mit keiner Silbe, sondern wandte sich in bissigem Ton an mich.
    |136| »Und Ihr, Orbieu, seid Ihr hier, daß man Euch anstarrt oder anhört?«
    »Sire, Eurem Befehl gehorsam, will ich Euch denn meine Gedanken über den Deich unterbreiten, den Eure Majestät zwischen Coureille
     und Chef de Baie errichten läßt.«
    »Den Deich kenne ich«, sagte Ludwig ruppig. »Ich habe eigenhändig daran mitgearbeitet. Ich will keine Beschreibung des Deichs,
     Orbieu. Ich will wissen, ob Ihr ihn für nützlich haltet. Und das so kurz wie möglich.«
    Es gelang mir, mich kurz zu fassen, so erregt ich auch war. Wenn der König in seiner unwirschen Laune vielleicht wünschte,
     daß ich die Nützlichkeit des Deiches bestreiten und Richelieu damit einen Stich versetzen würde, so mußte ihn meine Antwort
     enttäuschen. Es unterliege keinem Zweifel, sagte ich, daß der Deich vortrefflich erdacht sei und ausgeführt werde und somit
     eine überragende strategische Aufgabe erfüllen könne. Dem aber drohe Gefahr von zwei Widrigkeiten: Sollten die Engländer vor
     dem Frühling angreifen, wäre der Deich noch nicht vollendet.
    »Darf ich etwas dazu anmerken, Sire?« sagte Richelieu unterwürfig.
    »Ich höre.«
    »Ich gehe jede Wette ein, Sire, daß die Engländer vor dem Frühling nicht angreifen. Sie haben keinen blanken Heller mehr.
     Um eine neue Armada auf den Weg zu bringen, müssen sie alles zusammenscharren, und das braucht Zeit.«
    »Die zweite Widrigkeit, Orbieu!« sagte der König.
    »Wir haben Winter, Sire, und ein schwerer Sturm kann den Deich jederzeit teilweise oder ganz zerstören. Aber, Sire, darf ich
     diesen Feststellungen ein Wort hinzufügen, das nicht von mir stammt, sondern von Eurem königlichen Vater?«
    »Ein Witz?« fragte Ludwig argwöhnisch. »Ihm werden so viele zugeschrieben, die nicht von ihm sind. Woher habt Ihr den?«
    »Sire, es ist kein Witz, sondern eine Maxime. Und ich habe sie vom Marquis de Siorac, der sie mit eigenen Ohren hörte.«
    »Die Quelle gilt. Fahrt fort.«
    »Als Sully einen seiner Feldzugspläne kritisierte, antwortete Euer königlicher Vater: ›Das ist richtig, aber im Krieg muß
     man viele Dinge dem Zufall überlassen.«
    |137| »Weiß Gott«, sagte Ludwig, »wie viele Dinge und Gelder man bei diesem Deich dem Zufall überläßt!«
    Und hierauf, vielleicht, weil ich an seinen Vater – seinen Helden und sein Vorbild – erinnert hatte, wurde er ein wenig gnädiger
     gestimmt.
    »Danke, Sioac. Ich hatte recht, deinem Urteil zu vertrauen.«
    Dann verharrte er, die Augen gesenkt, in langem Nachdenken. Ich fragte mich, an was oder wen er wohl dachte. An seinen Vater,
     dem er in allem nachzueifern trachtete, außer in seinem losen Lebenswandel? Oder an seine Mutter, diese lieblose, aufbrausende,
     züchtigende und beschränkte Rabenmutter? War es ihre Schuld, daß Ludwig dem liebenswerten Geschlecht so wenig Liebe entgegenbrachte,
     das für ihn von klein auf nur das böse Geschlecht gewesen war, das ihn auf immer jeder Zärtlichkeit für die charmantere Hälfte
     der Menschheit beraubte und die eheliche Liebe schließlich auf eine dynastische Pflicht begrenzte, die er gewissenhaft, aber
     freudlos und lustlos fünf-, sechsmal im Monat erfüllte? Aber, offen gesagt, welcher König hätte auch eine Königin innig zu
     lieben vermocht, die sich einem Komplott zu seiner Ermordung geliehen

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