Kardinal vor La Rochelle
bemühte, seiner Stimme Festigkeit zu geben, »erinnert Ihr Euch der Worte, die
Doktor Héroard mir zur Antwort gab?«
»Ja, Sire:
Jeder, der stirbt, er stirbt mit Schmerzen
.
«
»Was ist das, Monsieur d’Orbieu? Ist das ein Sprichwort?«
»Nein, Sire. Es ist der erste Vers eines Vierzeilers von François Villon, den Doktor Héroard zu seinen Lebzeiten gern zitierte.«
»Kennt Ihr den ganzen Vierzeiler, Monsieur d’Orbieu?«
»Ja, Sire.«
»Beliebt ihn mir zu sagen.«
»Jeder, der stirbt, er stirbt mit Schmerzen.
Wenn einer Wind und Atem läßt,
Dem liegt es bitter auf dem Herzen,
und Gott weiß, was für Schweiß er schwitzt.«
»Das ist ein ergreifendes
memento mori
«, sagte der König. »Monsieur d’Orbieu, beliebt diese Verse für mich niederzuschreiben. Ich will sie mir aufbewahren.«
»Gerne, Sire.«
Nach einem langen Schweigen sprach Ludwig erneut.
»Doktor Héroard war sehr alt, glaube ich«, sagte er.
»In der Tat, Sire. Er war siebenundsiebzig.«
»Siebenundsiebzig! Das ist ein sehr hohes Alter!«
Und an der Melancholie, die das Gesicht des Königs befiel, erriet ich, welcher Gedanke ihm ins Herz schnitt: So alt werde
ich nicht. Und ich bin überzeugt, daß er hiermit zu sich zurückkehrte und an die immer häufigeren und schwereren Rückfälle
seines Leidens dachte.
»Armer Héroard«, sagte er seufzend. »Ich hätte ihn noch so nötig gebraucht.«
***
Nicolas und Madame de Bazimont fiel es in derselben Minute ins Auge, als ich das Schloß betrat, wie bekümmert ich war. Doch
wenn Nicolas sich nicht getraute, mir die Frage zu stellen, die ihm auf den Lippen brannte, war Madame de Bazimont gleichzeitig
zu neugierig und zu mütterlich, um sich nicht nach |185| dem Grund dieser Schwermut zu erkundigen. Und ich, dankbar für all ihre Fürsorge, mochte sie nicht enttäuschen.
»Mein Gott!« rief sie aus, »der Doktor Héroard ist gestorben! Der Leibarzt des Königs! Muß das ein gelehrter Mann gewesen
sein, daß er den König hat behandeln dürfen, und nun ist er tot! Wie kann denn ein so großer Arzt sterben, wo er doch alle
Heilmittel kennt?«
Meinen Nicolas kitzelte diese Einfalt, aber ich warf ihm einen raschen Blick zu, und das Lachen, das in seinen Mundwinkeln
zuckte, erlosch.
»Er war schon sehr alt«, sagte ich, »und sehr erschöpft von seinem Lebenswerk.«
Als wir dann beide beim Essen saßen, fragte mich Nicolas, ob Héroard wirklich ein so guter Arzt gewesen sei, wie man es am
Hof behauptete.
»Als Mediziner«, sagte ich, »stand er in der Tradition seines Lehrmeisters Rondelet von der Ecole de Médecine zu Montpellier,
das heißt, er meinte, jedes Übel rühre von Überfüllung her und müsse durch Entleerung kuriert werden: Klistiere, Abführmittel
und Aderlaß. Wird dies, um das Maß voll zu machen, von einer Diät begleitet, ist der Kranke aufs äußerste geschwächt.«
»Also war er kein guter Arzt?«
»Doch, Nicolas. Gut war er in vielerlei Hinsicht. Er schenkte Ludwig seine ganze Liebe und war ihm mit Leib und Seele ergeben.
Er leistete ihm große Dienste, indem er seiner Gefräßigkeit Einhalt gebot, seine Leidenschaft zügelte, sich auf der Jagd zu
verausgaben, indem er ihn anhielt, zeitig schlafen zu gehen, und seine Fieberanfälle mit Chinin bekämpfte. Ludwig hatte unbegrenztes
Vertrauen zu ihm, und Vertrauen ist, wie man weiß, die halbe Heilung. Ohne Héroard wird Ludwig sich jetzt verloren fühlen.
Und ich glaube, sein Entschluß, für einige Wochen nach Paris zurückzukehren, hat auch mit dem Verlust seines Leibarztes zu
tun. In der Hauptstadt kann er am besten nach einem neuen Äskulap von Ruf für sich suchen.«
Der Tisch wurde abgeräumt, wir wechselten wie üblich in den behaglichen kleinen Salon hinüber, wo Luc schon den Abendtee aufgetragen
hatte. Madame de Bazimont erschien, die schlohweißen Haare sorgfältig frisiert, und schickte den Diener fort, um uns eigenhändig
aufzuwarten. Ehrlich gesagt, |186| hätte ich an diesem Abend gerne einmal auf die kleine Zeremonie verzichtet, doch wäre es wenig liebenswürdig gewesen, die
Hausdame darum zu berauben, denn für sie war dies die sehnlich erwartete Gelegenheit, mit »ihren beiden Edelmännern«, wie
sie uns nannte, zu plaudern und zu schwatzen. Ich forderte sie auf, sich zu uns zu setzen, was sie wie üblich zuerst ablehnte,
auf mein Beharren jedoch schließlich annahm und auch annehmen wollte, denn wozu sonst hatte sie den Diener drei Tassen
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