Kardinal vor La Rochelle
Sinnes, weil er ihn jetzt gut gesattelt wisse, um die Belagerung
fortzuführen, ohne daß er Querelen mit den Marschällen zu gewärtigen habe, weil sie recht gut wüßten, wie er sie bei seiner
Rückkehr rüffeln würde, sollten sie sich seinen Befehlen nicht fügen. Richelieu versicherte ihm, er werde ihn Tag für Tag
durch Kurier über die jeweiligen Schritte der Belagerung auf dem laufenden halten und treu bei seinen Plänen bleiben, außer
im Falle dringlichster Gefahr oder wenn der König ihm ein anderes Vorgehen anempfehle.
Der König befand sich in einer solchen Erregung, daß er bei seinen letzten Worten ins Stottern verfiel (sicherlich weiß der
Leser noch, wieviel Mühe er in seiner Kindheit hatte aufwenden müssen, es zu bekämpfen). Wahrscheinlich kürzte er deshalb,
entgegen seinem Vorsatz, das Gespräch mit Richelieu ab – was ihn jedoch bedrückte, erst recht aber den Kardinal. Dieser küßte
die königliche Hand, zog sich schneller als erhofft zurück, saß ab, warf die Zügel seinem Reitknecht zu und verschwand in
seiner Karosse. Doch konnte er dem Kutscher das Zeichen zur Abfahrt noch nicht geben, weil es ausgemacht war, daß Monsieur
de Guron und ich mit ihm nach Aytré zurückfuhren.
Auch ich hatte mir von meinem Abschied von Seiner Majestät viel versprochen, und auch ich wurde sehr enttäuscht. Im entscheidenden
Moment scheute meine Accla und machte tausend Fluchtmanöver, weil sie den Ungarn nicht mochte, den der König ritt. Jedenfalls
hatte ich größte Schwierigkeiten, mich Ludwig zu nähern, und konnte ihm nicht einmal die Hand küssen, obwohl er sie mir längelang
hinstreckte.
Monsieur de Guron hatte mehr Glück mit seinem gemütlichen, dicken Gaul, der nahm zur Seite des Königs Aufstellung, ohne auch
nur zu mucksen. Der König konnte Guron die Hand auf die Schulter legen und in Muße zu ihm sprechen. Ludwig |191| hatte sich wieder in der Gewalt und stotterte nicht mehr, obwohl seine Augen noch feucht waren von den vergossenen Tränen.
Inzwischen war es mir gelungen, meine Accla zu bändigen, nicht aber, sie von der Stelle zu bewegen, was allerdings auch mir
widerstrebt hätte, denn zu gerne wollte ich hören, was der König, der dem Kardinal gegenüber kaum ein paar Worte herausgebracht
hatte, meinem Gefährten wohl mitteilen mochte.
»Monsieur de Guron«, sagte Ludwig mit tonloser Stimme, die ich dennoch verstand, »mir ist das Herz schwer. Ich kann nicht
in Worte fassen, wie leid es mir ist, den Herrn Kardinal zu verlassen. Sagt ihm von mir, wenn er sich meiner Liebe als würdig
erweisen will, dann soll er sich schonen und sich nicht ohne Schutz an gefährliche Orte begeben, wie es seine tägliche Gewohnheit
ist. Er soll bedenken, wie es um meine Geschäfte stünde, wenn ich ihn verlöre!«
Hier entfuhr dem König ein Seufzer.
»Ich weiß«, setzte er hinzu, »wie viele es lieber verhindert hätten, daß der Kardinal diese schwere Bürde auf sich nimmt.
Aber ich werde nie vergessen, welchen Dienst er mir leistet, indem er hierbleibt. Ich weiß, daß er es nicht getan hätte, wenn
es ihm nicht um die Fortführung meines Anliegens ginge, denn er lädt sich um meinetwillen tausend zusätzliche Mühen und Ärgernisse
auf. Bald sehe ich ihn wieder, vielleicht noch früher, als versprochen. Die Ungeduld, zurückzukehren, wird mir keine Ruhe
lassen. Grüßt ihn von mir. Adieu.«
Hiermit schwenkte Ludwig seitwärts, saß kurz darauf ab, stieg ohne einen Blick zurück in seine Karosse, und im Nu war diese
unseren Augen entschwunden, weil sich ihr sofort in scharfem Trab die Nachhut der königlichen Eskorte anschloß.
Eine gute halbe Stunde beobachtete ich aus gebührendem Abstand, um vom aufspritzenden Kot nicht beschmutzt zu werden, wie
die sämtlich berittenen Königlichen Musketiere, die französischen Garden, die Schweizer Garden vorüberzogen, dann übergab
ich meine Accla an Nicolas. Der Lakai des Kardinals öffnete mir behende den Wagenschlag, schloß ihn hinter mir und schwang
sich mit einer Hast auf den Kutschbock, als fürchte er, man werde ihn am Wegrand vergessen.
Richelieu hatte die Augen geschlossen und das Kinn auf die Brust gesenkt, doch schlummerte er nicht, wie er es Monsieur de
Guron und mich vielleicht glauben machen wollte, denn ich |192| sah, wie seine Hände sich immer aufs neue in seinem Schoß verschränkten und lösten, und mehrmals hob sich seine Brust, und
ihr entrang sich ein Seufzer. Verschlossen
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