Kardinalspoker
Wohnungstür. »Ich habe den Schlüssel nicht dabei, ich
Schussel. Er muss in der anderen Jeans sein. Oder er liegt bei mir auf dem Schreibtisch.«
Er dachte kurz nach. »Weißt du was, ich liefere ihn morgen früh in der Apotheke
ab, wenn ich mich auf den Weg zum Gericht mache. Frau Kleinereich kann ihn dir dann
geben.«
Frau Kleinereich fragte nicht lange nach. Wenn Grundler es so geplant
hatte, würde es wohl richtig sein, meinte sie, immer noch damit beschäftigt, die
Kaffeetafel zu vervollständigen. Frisch geschlagene Sahne würde den Tisch komplett
machen.
»Tobias, Sie sind übrigens nicht
der Einzige, der meine Apotheke als Depot missbraucht«, sagte sie lächelnd. »Unser
aller Bekannter Sümmerling besucht mich morgen übrigens auch.« Sie schaute Böhnke
an. »Sümmerling hat eben angerufen. Er bekommt heute die Informationen über Kardinal.
Ein Kollege von ihm hat zurzeit in Köln in der Redaktion seines Freundes zu tun
und bringt die Sachen mit. Sümmerling liefert die Unterlagen morgen früh bei mir
ab, bevor er in die Redaktion fährt.«
»Also gegen Mittag«, lästerte Grundler.
»Oder haben Sie schon einmal einen Journalisten gesehen, der schon am Morgen durch
die Weltgeschichte läuft?«
14.
Er hatte einen perfekten Zeitplan, freute er sich. Er konnte das termingemäße
Erscheinen bei seinem Hausarzt verbinden mit der Besichtigung der ominösen Wohnung
an der Jülicher Straße und am Nachmittag in aller Ruhe in einem Café die von Sümmerling
besorgten Unterlagen durcharbeiten. Am Abend nach Ladenschluss würde ihn Lieselotte
wieder nach Huppenbroich fahren. Die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen, das
wollte sie ihm nun doch nicht zumuten, auch wenn sie sein umtriebiges Handeln nicht
unbedingt guthieß.
»Du solltest dich besser schonen,
als wie hinter Rätseln in Unterlagen zu suchen«, sagte sie zum wiederholten Male,
als sie ihn in der Apotheke verabschiedete. Den Schlüssel zur Wohnung von Kardinal
hatte Grundler, wie angekündigt, in den Briefkasten geworfen.
Wenn der Tag so weiterginge wie nach dem morgendlichen Auftakt, dann
könnte er zufrieden zurück in die Eifel fahren, dachte sich Böhnke nach seinem zuversichtlich
stimmenden Arztbesuch. Seine Werte waren fast unverändert geblieben, einige hatten
sich sogar verbessert.
»Weiter so«, hatte ihn der Arzt
aufgemuntert. »Ich freue mich schon auf Ihre Feier zum 60. Geburtstag. Ich kann
ja wohl davon ausgehen, dass Sie mich dazu einladen, immerhin bin ich ja in gewisser
Weise eine Hauptperson in Ihrem Leben«, schmunzelte er.
Beschwingt machte sich Böhnke auf
seinen Weg durch die Innenstadt vom Markt zur Jülicher Straße. Er freute sich, vor
dem historischen Rathaus wieder die Figur von Karl dem Großen auf dem Sockel zu
sehen. Es hatte auf dem Platz etwas gefehlt in den letzten Monaten, als die Statue
restauriert worden war. Aber jetzt schaute der Kaiser wieder auf sein Volk und trug
wie selbstverständlich einen schwarz-gelben Alemannenschal um den Hals, den ihm
jemand, wahrscheinlich abends im siegestrunkenen Zustand, umgehängt hatte.
Böhnke lief gerne durch Aachen.
Er suchte sich den schönsten Weg, links am Rathaus vorbei, hinunter durch die Krämerstraße
zum Dom und weiter zum Elisenbrunnen, um erst dann nach links in Richtung Jülicher
Straße abzubiegen. Das Laufen in der wärmenden Herbstsonne fiel ihm leicht.
Nichts erinnerte an seine fatale,
unheimliche Krankheit. Weiter so!
An der Normaluhr blieb er staunend
stehen. Was herrschte hier bloß für ein Lärmen und Tosen an der großen Kreuzung
mit mehreren Fahrspuren. Böhnke ließ sich Zeit, um die breite Straßenkreuzung zu
überqueren. Nein, dieses Gewusel war nichts mehr für ihn. Er beglückwünschte sich
noch einmal für seine Entscheidung, aus der Großstadt in das beschauliche Eifeldörfchen
gezogen zu sein.
Wann war er
das letzte Mal über die Jülicher Straße gelaufen? Das musste eine Ewigkeit her gewesen
sein. Er erinnerte sich daran, dass ihn Lieselotte unbedingt in die alte Schirmfabrik
Breuer schleppen musste, weil es dort in dem neuen Museum eine Ausstellung mit Werken
russischer Künstler gab, die man gesehen haben musste, wie sie glaubte und was er
im Nachhinein nicht verstand.
Das war es auch
schon, dachte er, als er an der Kreuzung hinter dem markanten Ludwig Forum, dem
Museum in dem ehemaligen Fabrikgebäude aus roten und gelben Backsteinen, die Straße
querte, um auf dem Gehweg an der anderen Seite weiterzulaufen. Auf dieser
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